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Berliner NotizenBerliner NotizenBerliner Notizen

September 2006 (Druckversion)

 

Berliner Charme

September. Der Holzmarkt in Freiburg/Breisgau ist eine Schnittstelle von Straßenbahnlinien und dem Autoverkehr. Ich bummle quer darüber. Die Autofahrer stoppen jeweils, es ist ähnlich wie bei Moses, der die Hand hob und das Rote Meer teilte sich. Hier werden sie wohl die Ampeln abgeschafft haben, so meine falsche Annahme. Keiner hupt, kein Stinkefinger. Auf der anderen Straßenseite sehe ich, es gibt Ampeln, für mich zeigen sie rot. Eine Woche später in Berlin: Ich gehe über die Bölschestraße und sehe aus den Augenwinkeln, dass der vielleicht hundert Meter von mir entfernte Autofahrer Gas gibt, um mich von der Straße zu treiben. Vielleicht leidet er immer noch darunter, dass er zu viele Jahre den Trabant hat fahren müssen, der mit seinem Knattermotor nicht so schnell anzog.

Im Hamburger Hauptbahnhof. Eine Fahrradtouristin fährt mit ihrem Drahtesel über eine Rolltreppe in die Höhe. Das Gepäck zieht das Fahrrad auf den fahrenden Treppen nach hinten, sie kann es nicht mehr halten, fällt unter Rad und Gepäck. Sie kommt nicht aus der Klemme. Mehrere auf einen Zug Wartende rasen vom Bahnsteig auf die Rolltreppe, um der Unglücklichen zu helfen. Vor ihr bekommen drei Männer einer Band aus Wedel die Aufregung mit, einer drückt den Notknopf. Die Rolltreppe stoppt. Mehrere Menschen bemühen sich, der Verunglückten wieder auf die Beine zu helfen, fragen besorgt, ob sie verletzt sei. Hilfreiche Hände ziehen das Fahrrad nach oben.

Das letzte Wochenende in Berlin. Ich radle um den Müggelsee. Auf einem betonierten Weg, den sich Fußgänger und Fahrradfahrer rücksichtsvoll teilen sollen, kommen mir drei Personen entgegen. Sie gehen nebeneinander und bilden die Breite einer Schranke. Ich nehme an, eine modisch gekleidete Mittzwanzigerin sähe mich nicht, weil sie auf den Boden schaut. Sie hebt den Kopf, blickt mich in einer Entfernung von zehn Metern an, keine der drei Personen rückt näher an die andere – die Schranke bleibt. Ich weiche aus, gerate auf den sandigen Wegrand, das Vorderrad zieht weg, mein Sturz auf die Betonbahn ist nicht mehr zu verhindern. Beim Aufschlag spüre ich einen Schmerz im linken Ellenbogen und an beiden Beinen; links am Knie, rechts am Schienbein, eine Fingerkuppe schmerzt intensiv. Die drei Personen gehen zunächst noch einige Meter weiter, schauen arrogant und mitleidlos über die Schulter auf den Verunglückten. Am Boden liegend sehe ich zu denen auf, eine ungewohnte Perspektive. „Können Sie denn nicht ein wenig Platz machen“, rufe ich der jungen Frau zu. „Warum? Wir gingen doch hier zu Fuß her.“ Kein Versuch, mir zu helfen, nicht einmal eine Frage nach Verletzungen, wie beleidigt ziehen sie weiter. Zwei Tage später berichte ich über mein Unglück in der Stammkneipe „Bier-Keller“. Ein Gast sitzt vor dem Tresen, dahinter steht eine Angestellte. Sie scheinen meine Beschwerde über die Rücksichtslosigkeit nicht zu verstehen. Ob das denn ein Fußgängerweg war? War er nicht. „Selbst wenn, man nimmt doch nicht die Verletzung eines Menschen billigend in Kauf, wenn es einer ist.“ Das Argument zieht nicht. Wenn einer bei Rot über einen Zebrastreifen laufe, so die Beiden, würden sie auch nicht stoppen. Die Frau sagte: „Falls ich überrascht stoppe, fährt mir nachher noch einer hinten auf mein Auto. Bevor ich das riskiere, halte ich lieber drauf.“

(Siehe am Ende die Dokumentation aus „Süddeutsche Zeitung Magazin“ vom 29. September 2006)

 

Fluchhafenbahn

September. In wenigen Jahren soll der Flughafen Schönefeld Weltstadtniveau haben. Wer ihn zurzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen will, hat es im Vergleich mit Paderborn, Zweibrücken oder Münster/Osnabrück kaum besser. Während in die meisten Ortsteile die S-Bahn im Zehn-Minuten-Takt fährt, sind es nach Schönefeld jeweils 20 Minuten. Ich mache einen Test ab Savignyplatz im ehemaligen Westen. Nach Schönefeld fährt eine Zuggattung, die ansonsten nur selten im Einsatz ist. Die Frontseite der S-Bahn ist derart kantig, sie würde im Windkanal gegen einen Spind der Bundeswehr unterliegen. Im Kriegsfall genügten leichte Umbauten, um eine schwere Panzerbahn zu haben. Im Innern sind die Sitze farblich so gestaltet, dass sich Sprayer optisch kaum abheben können. Die S 9 rumpelt durch die Stadt. Im neuen Hauptbahnhof ist der Zustieg von Flugreisenden an ihrem Gepäck und der Kleidung zu erkennen: Einige sind ausstaffiert, als sei Berlin die Algarve, wer in kühlere Gegenden fliegt, trägt trotz Altweibersommers einen Mantel. Diese Kontraste wären eine hervorragende optische Vorlage für Loriot. Bis hinter dem Bahnhof Jannowitzbrücke rollt der Panzer in spe jeweils pünktlich ein und aus. Vor dem Ostbahnhof gibt es den ersten Halt auf freier Strecke. Einem Mann in einem hellen Übergangsmantel neben mir läuft der Schweiß in den Hemdkragen. Er flucht auf die Bahn. Urlauber blicken nervös auf die Armbanduhren. Unerbittlich heizt die Sonne die Waggons auf. Bahnhofshallendächer können eine Erlösung sein. Werden in Berlin Fahrgäste von der S-Bahn als Geiseln genommen, ist es unüblich, über Lautsprecher den Grund des Stillstandes mitzuteilen. Nach als viel zu lang empfundener Wartezeit rumpelt die in Rot gehaltene Bahn in den Ostbahnhof ein. Darin hält sie auffällig lange. Der nächste Stopp wäre die Warschauer Straße. Ein hartes Rucken, die klotzige Bahn steht erneut vor einem Bahnhof. Die Urlauber Richtung Süden haben die erste Möglichkeit, sich in der S 9 an tropische Temperaturen zu gewöhnen. Unerklärlich bleibt, warum andere Reisende ihre Mäntel nicht ablegen; sie scheinen die Fahrzeit falsch zu kalkulieren. Keine Durchsage, Hitze, fluchende Fahr“gäste“. Der Backofen fährt nach einiger Zeit in Berlins hässlichstem S-Bahnhof, der Warschauer Straße, ein. Am Ostkreuz hält die Bahn nicht, erst wieder am Treptower Park. Hier liegen, aus der S-Bahn gut sichtbar, die Fahrgastschiffe der Weißen Flotte vor Anker. Viele Insassen blicken lechzend auf die Spree und die Schiffe wie Hunde auf eine Fleischwurst. In dem Bahnhof Treptower Park gilt der umgekehrte einstige Werbespruch von VW: Sie steht und steht und steht. Wer Tiefkühlbrötchen – in Berlin Schrippen genannt – im Gepäck hat, könnte sie nun als aufgebacken essen. Es wundert mich, keiner isst, obwohl in Berlin Essen in öffentlichen Verkehrsmitteln üblich ist. An der nächsten Station, Baumschulenweg, gebe ich das Experiment auf. Der Mann im Mantel scheint zu zerfließen, den Südurlaubern dämmert, was sie erwartet.

 

„Kännchen Kaffee komplett“

September. „Eine Tasse Kaffee und ein Kännchen Kaffee komplett“, bestellt der Kunde alterslaut im Café Dr. Lehmann in Berlin-Friedrichshagen. Das ist noch Ostsprache: Kaffee komplett bedeutete in der DDR mit Milch und Zucker. „Ostdeutschland hinkt weiter hinterher“, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Tage, die vor mir auf dem Tisch liegt. Danach frage ich einige ältere Menschen, ob denn „Kaffee komplett“ teurer gewesen sei und stoße dabei auf Massen-Amnesie. Keiner will sich daran erinnern können. „Ich trank früher nur Tee“ ist die absurdeste Ausrede, der Mann kommt aber nach einiger Zeit zurück und sagt leise: „Aber ja, es war doch alles knapp. ‚Kaffee weiß‘ hieß nur mit Milch, ohne Zucker. Dafür musste extra bezahlt werden. Wissen Sie wie teuer Kaffee hier war?“ Weiß ich nicht. „Und ich verdiente nur 610 Mark.“

 

Mann gegen Mann

September. Angela Merkel arbeitete in Adlershof. Unabhängig davon ist in dem Stadtteil viel Verfall zu sehen. An der Hauptstraße stehen Häuser, die seit Jahrzehnten nicht mehr bewohnt sind. Vor Kaiser’s – hier noch „Kaufhalle“ genannt – tragen meist ältere Leute die Waren in Plastiktüten schwerfällig nach Hause. Auf dem Bürgersteig davor steht Udo Voigt, Bundesvorsitzender der NPD. Offensichtlich ist er gut bekannt, klar erkennbar weichen ihm viele Fußgänger aus. Ein Veteran hat ihn zu spät gesehen, Udo Voigt rückt nahe an den Mann heran und redet auf gleicher Augenhöhe auf ihn ein. Hoffentlich hat er keinen Mundgeruch. Einige Male versucht der Rentner dem Vorsitzenden zu entkommen, aber der macht jede Ausweichbewegung mit und steht somit weiter vor dem Mann. Udo Voigt redet und redet, ein Wahlkampf Mann gegen Mann. Die anderen Konsumenten scheinen froh zu sein, dass er einen Zuhörer hat, der Ausweich-Bogen um den Funktionär der NPD wird nicht mehr so weit gezogen. Auf der anderen Straßenseite steht ein Obelisk, der an drei Antifaschisten erinnert, die von den Nazis ermordet wurden. Trotz des Bildersturmes 1989 in der zerbröselnden DDR ließen die Menschen in Adlershof den Gedenkstein unangetastet. Nur das Leben schreibt solche Szenen.

 

Zehn Meter bis Rau

September. „10 mtr. zum Grab Rau“. Der Text auf einem dreieckigen Pappschild ist ungelenk mit der Hand geschrieben. Die Spitze des Kartons zeigt in den Himmel. Danach folgen einige Meter Gras, am Kopfende der schlichten Begräbnisstätte erhebt sich noch kein Monument. Das Grab von Johannes Rau liegt abseits von denen berühmter Männer und Frauen. Ihm gegenüber ruht der Konditormeister Eugen Mraschny (1902 – 1944 ). Vor der Beisetzung schrieb die „Berliner Zeitung“ am 2. Februar: „Neben Bertolt Brecht und Heiner Müller.“ Das stimmt so nicht. Richtig war, dass Johannes Rau auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof nahe der pulsierenden Friedrichstraße beigesetzt wurde. Friedhofsruhe findet der Besucher selten, weil Touristengruppen, oft grell gekleidet und sich etwas zurufend, hier hingeführt werden. Im Jahr 1762 erhielten die Gemeinden der Dorotheenstädtischen und Friedrichwerderschen Kirche einen Acker hinter dem Oranienburger Tor als Begräbnisplatz. Daraus wurde eine Begräbnisstätte für bedeutende Deutsche, dies auch deshalb, weil seit 1950 der Friedhof nur noch der Evangelischen Gemeinde und der Akademie der Künste der DDR vorbehalten blieb. Brecht wohnte von 1953 bis zu seinem tödlichen Infarkt 1956 in einem Haus nahe dem Friedhofseingang. Aus seinem Arbeitszimmer blickte er auf den Prominentenfriedhof. Vor 50 Jahren wurde er neben dem Eingang links an einer Mauer bestattet. Sein letzter Wunsch wurde nicht erfüllt, der Dramatiker wollte, dass seine Begräbnisstätte eingeebnet würde, wenn sein Namenszug auf dem Findling vom Regen verwaschen wäre; er wurde 2006 erneuert. Besuchergruppen werden an dieser Mauer entlang geführt. Neben Brecht und seine Frau Helene Weigel sind in wenigen Metern Entfernung Christoph Wilhelm Hufeland, Heinrich Mann, Johannes R. Becher und Hanns Eisler gebettet. Der Stein des ehemaligen Kulturministers und Dichters Johannes R. Becher ist frisch verschmiert, von dem Namen Heinrich Mann ist nur das H zu lesen. Die Daten von Hanns Eisler sind verwaschen, die schmucklose Anlage ist leicht verkommen. Touristen eilen in Sauseschritten daran vorbei. Nur wenige Meter weiter erreichten sie die Ruhestätten von Günter Gaus, Wieland Herzfelde, Arnolt Bronnen, Johann Heartfield oder Hans Mayer. Dem Verfall überlassen sind das Grab von Arnolt Bronnen und Johann Heartfield, der durch politische Fotomontagen berühmt wurde. Auf einer hebt Hitler die Hand zum Faschistengruß, von oben legt eine Kapitalistenhand einen Geldschein in sie hinein. Arnolt Bronnen war Wanderer zwischen den politischen Welten: Erst Faschist, dann Kommunist und Eiferer für die DDR, später soll er auch von ihr enttäuscht gewesen sein. Vor dem Grab von Hans Mayer steht eine Frau, die Sonnenbrille angeberisch ins Haar drapiert, sie versendet eifrig SMS. Ein Angestellter des Dorotheenstädtischen Friedhofs nennt die besonders häufig besuchten Gräber: Die von Johannes Rau und Schinkel, „und als der Brecht 50 Jahre tot war, das von dem.“ August Borsig bekam eine pompöse Grabstätte. Das Schinkel-Grabmal eine Reihe weiter ist verhältnismäßig schlicht gestaltet: Ein goldenes Medaillon auf einer Säule zeigt den Architekten als jungen Mann. Der nach Brecht wohl bedeutendste deutsche Dramatiker Heiner Müller starb vor zehn Jahren. Auf seinem Grab erhebt sich eine rostrote Stele, in Schreibmaschinenbuchstaben steht darauf sein Name, sonst nichts. Am äußersten Ende, in der Nähe einer Hausmauer mit einigen Fenstern darin, liegt der Bildhauer und Gartengestalter Schadow. Eine kleine Figur soll ihn darstellen. In dem Gebäude dahinter befindet sich die katholische Akademie, künftige Geistliche schauen, auf der Fensterbank sitzend, zu ihm hinunter und frönen den weltlichen Gelüsten – sie rauchen gierig. Mich beeindruckte der Text auf einer schwarzen Grabplatte: „Hier ruht unsere liebe Mutti.“

Im Wohnhaus Chausseestraße 125 ist das Arbeitszimmer von Bertolt Brecht erhalten geblieben. Auf ebener Erde lädt das „Literaturforum im Brecht-Haus“ zu Lesungen. Im „kellerrestaurant“ darunter können sich Literaturliebhaber und Touristen laben. Im Angebot ist Pilzgulasch mit Semmelknödeln für 12,50 Euro, der Tafelspitz kostet 13,55, einen Kaiserschmarren bekommt der Berlinbesucher für 8,18 Euro serviert. Gegenüber auf der anderen Straßenseite wird Damenmode aus Paris angeboten, ein Kneipier lässt behaupten, in seiner Gaststätte stehe die „älteste Zapfsäule von Berlin.“

 

Zitate

„Schnell, groß, charmant, würzig und liebevoll ruppig.“
Lou Bega, Latin-Pop-Sänger über Berlin.

„In Berlin wächst kein Gras, in Wien verdorrt es.“
Karl Kraus.

„Der Berliner ist meist aus Posen oder Breslau und hat keine Zeit.“
Kurt Tucholsky.

„... genussfeindliche Riesenschnodderstadt.“
Fritz Kortner in seiner 1969 veröffentlichten Autobiografie

„Ich liebe Berlin.“
Bertrand Delanoe, Oberbürgermeister von Paris am 5. September 2006.

„Auch kein richtiges Beinfleisch gäbe es dort, die Schnitzel würden in einer Sauce serviert, und Semmeln, die Schrippen hießen, wären ungenießbar, und Knödel, die ‚Klöße‘ hießen, blieben einem im Halse stecken, ihren Blümchenkaffee müsse man sofort wieder ausspucken, und zu einem wabbligen Berliner Pudding hätte ein Wiener gesagt: ‚Zittere nicht, ich fresse dich nicht!‘“
Fritz Kortner in seiner Autobiografie „Aller Tage Abend.“

„Das Wiener Schnitzel im Louisam am Richardplatz in Neukölln. So groß wie ein Elefantenohr, aber knuspriger.“
Die Zeitschrift „tip“, einer von 123 Gründen, Berlin zu lieben.

„Verglichen mit Berlin finde ich manchmal, ist Zürich gar keine Stadt.“
Thomas Hürlimann, Schweizer Schriftsteller.

In der Berliner Straßenbahnlinie M 10 werde „gesoffen, gefickt und auch gelesen“.
Thomas Hürlimann.

„... weil das Kultur- und Musikangebot in Berlin, Letzteres angeführt von den so legendären wie selbstbewusst expandierenden Philharmonikern, größer und beneidenswert vielfältiger ist als in jeder anderen Stadt der Welt.“
Süddeutsche Zeitung vom 16/17. 09 2006.

Im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ beantwortet Dr. Dr. Rainer Erlinger jede Woche eine „Gewissensfrage“. In der Nummer 39 vom 29. September 2006 war es diese von Britta B. aus Berlin:
„Bei Kopfsteinpflaster fahren viele Radfahrer lieber auf dem Gehweg. Wenn mir mit meinem Kinderwagen welche entgegenkommen, schiebe ich ungerührt weiter in der Mitte des Gehweges. Ich gebe zu, dass manchmal Platz zum Ausseichen wäre – ich habe dazu aber keine Lust, weil ich zu Recht auf dem Gehsteig bin und die Fahrradfahrer unrechtmäßig. Stimmen Sie mir zu, dass Radfahrer, die die Unbequemlichkeit des Kopfsteinpflasters fürchten, auf dem Bürgersteig nicht erwarten können, von Fußgängern durchgelassen zu werden?“
Auszug aus der Antwort:
„… Ich bin fassungslos. Nicht über Ihre Frage oder das Problem, nicht einmal so sehr über das Nichtausweichen, sondern schlicht über Ihre Begründung. Würden Sie argumentieren, wie mühsam es ist, den Kinderwagen zur Seite zu wuchten, oder auch nur, dass es nervig sei, um die rasenden Radler herum Buggy-Slalom zu fahren, Sie hätten jedes Verständnis der Welt für Ihr Beharren. Ginge es um Engstellen, niemand verlangte von Ihnen, sich irgendwo an den Rand zu quetschen, schon gar nicht mit einem Baby. Wenn aber genügend Platz da ist und es für Sie kein Problem darstellt auszuweichen, warum tun Sie es dann nicht? Nur um recht zu behalten? Tut mir leid – dafür habe ich kein Verständnis. … Der Gehwegradler befindet sich im Unrecht, Sie im Recht. Und trotzdem sind Sie es, die mit Ihrer Rechthaberei einen Spaltpilz in das Zusammenleben trägt, nicht der Verkehrssünder – vorausgesetzt, er lässt Fußgängern den Vorrang und fährt so vorsichtig, dass er niemanden gefährdet. Von der Polizei bekommt er das Ticket, von mir aber erhalten Sie es.“
Anmerkung: Im Ostteil von Berlin gibt es noch viel Kopfsteinpflaster.

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