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Oktober 2006

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Zehn Demos an einem Tag

Oktober. Es könnte eine Szene für einen Agitationsfilm der Defa sein: Über die Prachtstraße Unter den Linden ziehen Grüppchen Richtung Alexanderplatz. Sie tragen Gewerkschaftsfahnen unter den Armen oder Plakate auf Rücken und Brust, darauf werden Armut und Angst vor Arbeitsplatzverlust angeprangert. Sie ziehen über die Kreuzung Ecke Friedrichstraße an einem Autohaus vorbei, in dessen Schaufenstern zwei Bentleys im Angebot sind. Preisschilder gibt es nicht, sie sollen pro Stück 250.000 Euro kosten. Der Bundesvorstand des DGB hat zum Protest gegen den sozialen Kahlschlag der Regierung Merkel gerufen, sehr viele sind gekommen – und geraten zunächst in den Verdacht, Richtung Alex zum Einkauf zu wollen, denn die Kundgebung sollte entgegengesetzt am Brandenburger Tor sein. Die einzeln zum Alex liefen, kamen gegen zwölf Uhr versammelt in einem langen Demonstrationszug zurück. DemonstrantenIm Funktionärsdeutsch hieße er „machtvoll“. Am Brandenburger Tor präsentiert der DGB ein Vorprogramm zur Kundgebung ab 13 Uhr. Hubertus Schmoldt von der IG BCE lässt sich im Kreise von Teilnehmern für ein Gruppenbild fotografieren, das als Trophäe in die Heimat mitgenommen wird.  Auf der Bühne erzählen über mehrere Stunden Betriebs- und Personalräte, was die Teilnehmer meist schon wissen, dass die Politik unsozial ist. "„Komm, geh nicht von der Fahne“, ruft mir eine Angestellte aus dem Haus des DGB-Bundesvorstandes zu und drückt mir ein Tuch in die Hand. Mit einer Fahne des DGB über meiner Schulter habe ich den Eindruck, von den Teilnehmern freundlicher betrachtet zu werden als vorher. Am Denkmal der Roten Armee nahe dem Brandenburger Tor lassen sich auf sowjetischen Kanonenrohren hockende Jugendliche fotografieren. Vor den Toiletten stehen die Teilnehmer Schlange. Sie sind zum Teil von weither, wie aus Suhl oder Meiningen, in aller Herrgottsfrühe in nicht gerade modernen Bussen angereist. Trotz dieser Strapazen und ihrer Probleme an den Arbeitsplätzen herrscht eine lockere Stimmung. Auf der Straße des 17. Juni werden Würstchen verkauft und Broschüren verteilt, Traktate verkauft und Fahnen der Volkssolidarität verteilt, die einige eher als Kuriosität annehmen. Hauptredner Frank Bsirske nimmt gern das Mikrofon als Geisel und nutzt die Gunst von mindestens einer Stunde. Er fasst sich für seine Verhältnisse ungewohnt kurz, hält eine feurige Rede, sein sich gelegentlich überschlagender Sprach-Stakkato bringt ihn um so manche Wirkung. Die Stimmung ist wohl deshalb so gut, weil viele Angereiste, die täglich mühsam als Gewerkschafter kämpfen, nun in Berlin sehen: Es gibt viele Gleichgesinnte. Nach Angaben der Polizei sind es 80.000. Aus der Fanmeile der Fußballweltmeisterschaft ist eine Protestmeile mit vielen Fahnen und Plakaten geworden. Kaiserwetter für die Arbeiterklasse. Mit meiner Fahne begleite ich Angereiste aus Suhl zum Bus, der am Tiergarten geparkt ist. Die Menschen sind aufgekratzt. Drei Gewerkschafterinnen lächeln mir zu – wegen der Fahne. Aus Pappbechern trinken sie wegen der gelungenen Veranstaltung preiswerten Sekt. Ein Winken, der Bus wird vor dem Schloss Bellevue nach links gelenkt und verschwindet hinter den Bäumen des Tiergartens. Mit der Fahne spaziere ich am Ufer Spree Richtung Hauptbahnhof und fühle, Spaziergänger halten mich für ein Unikum. In der lichten Bahnhofshalle bin ich der einzige Fahnenträger. Unter Gleichgesinnten fühlte ich mich sicherer. Am selben Tag waren bei der Polizei in Berlin zehn Demos angemeldet. 

DGB-Demo in Berlin

Der Motzer fährt mit

Oktober. Im Bus der von Touristen so gern benutzten Linie 100 sitzt ein Berliner, wie ihn seine Kritiker als klassisch empfinden: Rentner, Baseballkappe, graue Großwildjägerjacke – und er motzt. Der Mann sitzt allein, redet aber so laut, als rede er auf einen Schwerhörigen ein. Der Bus verlässt die Karl-Liebknecht-Straße auf der Höhe der Reste des Palastes der Republik. Er schaut auf die Ruine und ruft laut: „Das war ja auch nicht nötig. Was das alles kostet!“ Die anderen Fahrgäste spielen schlecht, als hätten sie ihn nicht gehört. Der „Hunderter“ erreicht die Neue Wache. Hier legen Staatsgäste Kränze nieder. Vor dem 1820 nach Plänen Schinkels erbauten Gebäude stehen Bundeswehrsoldaten, die ein Spalier bilden. Es sind alle drei Waffengattungen angetreten. Zwei Marineoffiziere halten einen Kranz, der offensichtlich dem Staatsgast übergeben werden soll. Die Männer der Ehrenformation warten. „Das gibt es doch nicht“, ruft der Motzer. „Da lassen die die Wehrmacht einfach so stehen. Was das kostet! Das gibt es doch nicht.“ Die Menschen in dem vollen Bus hören zwangsläufig hin, lassen sich aber nichts anmerken. Der Bus erreicht die Humboldt-Universität. „Guckt mal die vielen Studenten. Am frühen Morgen stehen die in der Sonne rum. Die sollen mal arbeiten lernen.“ Der Rentner schaut sich um, will Zustimmung von anderen Fahrgästen. Die Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße ist erreicht. Vor dem Ersten Weltkrieg stand hier das berühmte Künstlerlokal „Café Vaterland“. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die DDR hier das Hotel „Unter den Linden“ bauen. Zurzeit klafft an der Stelle eine riesige Baugrube. „Die können nur platt machen, nur abreißen. Was das alles kostet.“ Der inzwischen niedergerissene unattraktive Plattenzweckbau galt nicht nur als Herberge, er war „der“ Stasitreff für Westagenten. Der Übergang nach Westberlin über den Bahnhof Friedrichstraße lag nahe. An der nächsten Haltestelle verkauft ein Mann die Obdachlosenzeitung „Motz“. Der Motzer kommentiert: „Früher gab es hier keine Bettler.“ Nahe dem Café Einstein steige ich aus. Wie auf der Flucht.

Das Café Einstein gilt als Spitzenadresse für die politische Gerüchtebörse. Im hinteren Teil sitzt der Staatssekretär Müller aus dem Umweltministerium. Er begann vor 40 Jahren als Assistent in der Jugendabteilung des DGB-Bundesvorstandes. In den Medien galt er als SPD-Linker. Über Jahre bekämpfte er die einstige Umweltministerin Angela Merkel. Nun sitzt er mit ihr gelegentlich am Kabinettstisch – wie das Leben so spielt. Er ist zum Mittagessen hier. Eindringlich redet sein Gesprächspartner auf ihn. Ob der die Rechnung bezahlt? Einige Tische weiter residiert Annette Schawan. Aus der Entfernung gesehen könnte sie in Kinderfilmen als Eule auftreten. Vorn im Café erobert eine Touristenfamilie mit drei Kindern einen Tisch. Der Vater schaut in die Getränkekarte, sagt wohl etwas über die Preise, die fünf Personen springen auf, flüchten aus dem Einstein, so als habe es eine Bombenwarnung gegeben. Alice Schwarzer schreitet durch die Räume. Sie trägt einen Mantel bis zu den Knöcheln, der einem weiten Umhang ähnelt. Hätte der eine andere Farbe, könnte sie für Kardinal Lehmann gehalten werden.

 

Rosenkriegsberichte

Oktober. Friedbert Pflüger, Spitzenkandidat der Berliner CDU, wird in den Kneipen oft spöttisch spitzer Kandidat genannt. Verheiratet mit der Professorin Margarita Mathiopoulos muss der Bundestagsabgeordnete den Begriff Praktikantin irgendwie anders ausgelegt haben. Mit der einem Volksvertreter zustehenden Mitarbeiterin/Praktikantin zeugte er ein Kind. Die Ehe mit der Griechischstämmigen sollte nach 19 Jahren geschieden werden. Friedbert Pflüger verdiente während der Ehe stets weniger als seine clevere Ehefrau. Mit der Scheidungsklage verlangte er einen Zugewinnausgleich von 157 000 Euro. Von den Gesetzgebern war er gedacht für Frauen, die wegen Kindererziehung nicht arbeiten konnten. Gesetzlich zulässig, aber moralisch verwerflich, wollte Berlins oberster Christenmann das Geld. In zweiter Instanz verlor die Professorin Mathiopoulos. Die Berliner Printmedien berichteten ausführlich. Nicht aber „Der Tagesspiegel“. Der Prozess war ein Fressen für die Boulevardblätter. Deshalb konnte „Der Tagesspiegel“ das Thema nicht völlig ungemeldet lassen. Der „Tagsspiegel-Bericht war dann getitelt mit „Ende des Rosenkrieges“. Das war falsch. Wer die Konkurrenz „Berliner Zeitung“ las, wusste mehr: Der Rosenkrieg ging weiter. Margarita Mathiopouos machte einen geschickten Schachzug: Keine Revision ihrerseits, sie schlug dem spitzen Kandidaten öffentlich vor, das Geld sollte mit seinem Einverständnis für besonders arme Berliner Kinder gespendet werden. Friedbert Pflüger, inzwischen Vater zweier Kinder mit der Ex-Assistentin-Mutter, stellte sich taub. Kein Wort darüber im „Tagesspiegel“ Wie schrieb Clausewitz? „Im Krieg ist der erste Verlierer die Wahrheit.“ Im Rosenkrieg auch.

 

Die Kalesche

Oktober. Der Hackesche Markt hieß in der DDR Marx-Engels-Platz. Vom sozialistischen Grau ist nichts mehr geblieben. Der Bereich entwickelte sich zu einer Kneipenszene, nahe dabei liegen Trendgeschäfte. Der Bundesvorstand des DGB hat hier seinen Sitz in einem nüchternen Zweckbau. Das Haus fällt nicht besonders auf. Aber ein geparktes Auto davor. Eine dunkle Kalesche, der man ansieht, dass darin ein Wichtiger gefahren wird. Auffällig sind die dunklen Scheiben im Fond. Mit so einer Ausstattung fährt kein Minister vor. An den Rändern von Berlin sind solche Wagen zu sehen, die Insassen wollen nicht von der Polizei erkannt werden. In US-Filmen sind diese Scheiben Gangsterautos vorbehalten. Das polizeiliche Kennzeichen ist aus Hannover. Sollte Gerhard Schröder bei der Russenmafia gelandet sein? Bald darauf steigt Hubertus Schmoldt in das auffällige Auto. Er ist Vorsitzender der IG BCE. Da kann es nur zwei Gründe geben – der Gewerkschaftsvorsitzende ist so populär, dass er nicht sofort bei Fahrten durch eine Stadt von den Fußgängern erkannt werden möchte oder es ist die Solidarität für die noch wenigen verbliebenen Bergleute, die bekanntlich auch im Dunkeln arbeiten.

 

Der schwarze Tag

Oktober. Um zehn Uhr sehe ich bei „Phoenix“, wie in Karlsruhe ein äußerst arroganter Bundesverfassungsrichter süffisant einen Urteilsspruch kommentiert. Der Vorsitzende Hassemer lässt sich über einen Werbespruch von Berlin aus: Arm aber sexy. Ihn zu kritisieren hat nichts mit der Rechtsfindung zu tun. Wie zu Pennälern sagt er den Politikern, „wenn Sie genau“ lesen und hinhören! An diesem schwarzen Tag fahre ich mit der U-Bahn zur Eberswalder Straße in den Bereich des früheren antifaschistischen Schutzwalls. Hinter dem Jahnpark-Stadion stand die Mauer. An ihrem einstigen Verlauf ist ein Fahrrad- und Wanderweg zwischen Ost- und Westberlin angelegt worden. Eine Imbissbude heißt „Mauerspecht“. Die Bernauer Straße war einst innerstädtische Grenze. Sie besichtige ich. Ihr Bürgersteig lag noch/schon im Westen, die Genossen ließen die Fenster Richtung Wedding vermauern. Am Vormittag gehen die wenigen Menschen achtlos an einer Metallplatte im Boden vorbei. Sie erinnert an Ida Sieckmann, die hier zu Tode kam. Bei Filmdokumentationen vom 13. August 1961 ist die Frau zu sehen: Eine grauhaarige, schwarz gekleidete schlanke Endsechzigerin, die sich von einem oberen Stockwerk des Mietshauses Bernauer Straße auf den Westbürgersteig abseilen will. Im Fenster oben wird sie von SED-Funktionären festgehalten, die Frau hängt vor der Hauswand, an ihren Füßen ziehen Menschen aus Westberlin. Die oben geben nach, die Frau fällt an dieser Stelle auf dem Bürgersteig in den Tod.

Der Todesstreifen/das Schussfeld ist mit Gras bewachsen. Die Fenster an den Häuserfronten sind nicht mehr vermauert. Es vergammelt ein politisches Plakat. Mit dem Urteil im fernen Karlsruhe wird die Hauptstadt in schwere Existenznöte gebracht. Die Menschen gehen durch das Viertel, als sei nichts geschehen. Berliner haben Hitler überlebt, den Kampf um die Stadt 1945, die Blockade, die Stalinzeit, die Teilung, Todesschüsse über Jahrzehnte, die Freude über die Vereinigung und den danach erfolgten Kahlschlag der Industrie, sie werden auch das Urteil überleben.

Todesstreifen

Ich erreiche die Zionskirche. In ihr wurde die Lunte zu einem Brand gegen die Führung in der DDR gelegt. Mutige Christen richteten in dem Gotteshaus eine Umweltbibliothek ein. Die Stasi und uniformierte Polizei gingen gegen die Widerständler aus der Zionskirche vor – vergeblich, die kämpften weiter, die Westmedien berichteten. Von hier aus verbreitete sich das Feuer des Ungehorsams gegen die Diktatur. In der Gegenwart werden die Außenmauern der Kirche restauriert. Auf einem Mauervorsprung sprießt eine Birke. Aus dem Innern dringt der Gesang einer Frau. Sie übt. Zu sehen ist die Sängerin nicht. An den Wänden hängen grobkörnige Fotos, die den Widerstand dokumentieren. Reste der Umweltbibliothek befinden sich im Keller des Gotteshauses. An der Zionskirche war 1931/32 Dietrich Bonhoeffer als Pfarrer tätig. In die Geschichte ging er ein als Mann des Widerstandes gegen Hitler. Dafür bezahlte er 1945 mit seinem Leben.

An diesem schwarzen Tag wandere ich in Richtung Innenstadt. Vorbei an einer Kirche, die Schinkel geschaffen hat. In der DDR verfiel sie, was ich als maroden Charme empfand. Nun wird sie mit Transfergeldern restauriert. Ihr gegenüber liegt eine der für die Stadt typischen Markthallen. Ob die Menschen schon wissen, was „der Elferrat von Karlsruhe“ – so ein Leserbrief in der „Berliner Zeitung“ - angerichtet hat? So weit ich höre, ist es kein Thema. Von hier fährt ein Bus quer durch die Hauptstadt, vorbei am Nordbahnhof in der Nähe eines Mauermuseums. In der Invalidenstraße ist das einstige Hotel Neva zu sehen. Es ist schon lange geschlossen. In den sechziger Jahren  traf sich hier die Führungselite der DDR, die Schriftstellerin Brigitte Reimann durchlebte in den großen Zimmern des Hauses einige Liebesnächte. Der Bus fährt an der früheren „Ständigen Vertretung der BRD“ vorbei, erreicht das Verkehrsministerium, auch zuständig für den Aufbau Ost, wenige Meter später ist der stillgelegte Hamburger Bahnhof zu sehen. Links liegt der moderne Hauptbahnhof, ein Magnet für Touristen. Prenzlauer Berg, Mitte, Wedding und Charlottenburg werden durchfahren.

In dem Restaurant „Jules Verne“ sitzen meist Stammgäste. Das fatale Urteil ist kein Thema. Die Serviererin ist fröhlich und freundlich wie immer. Der Inhaber sitzt hinter seinem Laptop – wie immer. Danach laufe ich die Kantstraße hinunter Richtung Bahnhof Zoo. Auf einer winzigen Rasenfläche neben einem Theatergebäude liegt zur frühen Nachmittagszeit ein Obdachloser in einem verschmutzten Schlafsack und schläft. Nur die dunklen Haare sind noch zu sehen. Im Regierungsviertel wird heftig gestritten, ob es eine Unterschicht gibt. Zur Stunde werden sich die meisten Ministerinnen und Minister die Hände reiben, weil sie die Hauptstadt mit höchstrichterlicher Billigung hängen lassen dürfen. Ab Bahnhof Zoo fährt der Bus Linie 200 Richtung Alexanderplatz. Die obere Etage des Doppelstöckers ist von Berlinbesuchern besetzt. An der Friedrichstraße steige ich aus und bummele durch das französische Kaufhaus Lafayette. Seine Lebensmittelabteilung ist das Mekka von der gut verdienenden Regierungselite, Weltfirmenvertretern und Redakteuren von Großblättern. Nicht alle Lebensmittel kommen aus Frankreich. Vieles im Angebot könnten die auch bei Kaiser’s kaufen, dort preiswerter. Die Anzugträger eint mit vielen Ostgeborenen, dass sie gegenüber Verkäuferinnen das Wort bitte nicht verwenden.

Am August-Bebel-Platz steht der interessanteste Bauzaun der Stadt. Ein Riesenfoto darauf zeigt minimal bedeckte Girls, die ihre kaum bekleideten gut geformten Hinterteile zeigen. Dank der heutigen Fototechnik sind die Beine optisch länger. Das sicherste Mittel gegen Cellulite ist die Retusche. Kommen Männergruppen an der Girly-Wand vorbei, bauen sie sich davor auf und benoten die Gesäße angeblich fachmännisch. Gemischte Touristengruppen ziehen daran entlang, als gebe es den Bauzaun nicht. Die Wand könnte auch das aktuellste Denkmal Berlins sein: Das geht uns alles am Arsch vorbei.

Plakat Unter den Linden

Ost-Wochen in Berlin

Oktober. „Die Fans freuen sich auf die Ost-Wochen in der Regionalliga Nord“, schreibt die auf den Ostteil ausgerichtete „Berliner Zeitung“ am 28. Oktober. Für Union Berlin stehen wie in einstigen Oberligazeiten der DDR zunächst ein Heimspiel Rot-Weiß Erfurt und dann eine Fahrt zu Dynamo Dresden an, danach kommt der 1. FC Magdeburg in das Stadion an der Alten Försterei. Am selben Tag meldeten in ihren Videotexten zwei Sender, was sich einen Tag zuvor in Ostberlin ereignete. Im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, der früheren Spielstätte des Rekordmeisters der DDR, Dynamo Berlin, kickte Hertha II gegen Dynamo Dresden 1:1. Im rbb hieß es, bei der Begegnung sei es zu Krawallen gekommen: 23 Beamte seien verletzt worden, vier hätten ins Krankenhaus gemusst; 22 Randalierer seien festgenommen worden. Der MDR informierte ausführlicher: Im Jahn-Sportpark lieferten sich 2.500 mitgereist Dynamo-Fans Wortgefechte mit Anhängern des BFC Dynamo. Nach dem Ausgleich durch Hertha II stürmten sie den Rasen, zerstörten Sitze, demolierten Imbissbuden und klauten eine Geldkasse. Berichte von antisemitischen Rufen der Dresdner waren nachmittags aus dem Nachrichtentext genommen worden. Wer sich aus mehrere Quellen informierte, wusste: Die Dresdner wurden von Prügelgruppen aus den Reihen des BSC Dynamo Berlin empfangen, ebenso von Schlägern der Union und angereisten Hooligans aus Thüringen. Aus dem Fanblock der Dresdner kam im Stakkato: Juden, Juden, Juden Berlin.“

Dirk Ziegler, Präsident von Union Berlin heizte gegenüber der „Berliner Zeitung“ einen Tag später die Ost-Stimmung an: „Ich konnte Magdeburg schon zu DDR-Zeiten nicht leiden, heute ist das nicht anders.“ Der DFB hat die Heimspiele von Union Berlin gegen Rot-Weiß Erfurt und den 1. FC Magdeburg mit dem höchsten Sicherheitsrisiko versehen. Vor dem Spiel gegen Erfurt hieß es vom Klubsprecher Lars Töffling: „Die Partie wird von außen gepuscht, die Fans sind heiß.“ Chefscout Christian Beeck, Jahrgang 1971: „Dem gemeinen Ossi wie mir geht jetzt das Herz auf, das sind die Spiele, die den Reiz der Regionalliga ausmachen.“ Wie früher in der DDR pfiff der Schiedsrichter zum Nachteil von Union Berlin. In der „Sportschau“ wurde der Beweis gesendet: Ein Foul einen Meter vor dem Sechzehner verlegte der Schiri in den Strafraum. Der Elfmeter brachte die Thüringer in Führung. Sie siegten an der Spree 4:2 und stießen Union von der Tabellenspitze. Nach dem Abpfiff entschuldigte sich der Schiedsrichter für seine Fehlentscheidung.

Zum Osten gehört auch Westberlin. Korrekt berichtete die ARD in ihrem Bericht über das Spiel Energie Cottbus gegen Hertha Berlin, das Ostduell in der Bundesliga gewannen die Lausitzer mit 2:0. Über die Westberliner Hertha höhnte „Der Tagesspiegel“ am Sonntag: „Zweiter im Osten“; Energie stand vor der Hertha in der Tabelle.

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