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April 2007

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Geschwärzte Grüne

April. „Die Juden sind unser Unglück.“ Dies ist eine überlieferte Aussage des preußischen Historikers Heinrich von Treitschke. Trotzdem trägt in Steglitz eine Straße seinen Namen. Schon 1982 schlug Heinz Galinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, vor, den Namen der Straße zu ändern. Das Bezirksamt war dagegen. Elf Jahre später votierten die Grünen von Steglitz dafür, die Treitschke-Straße nach Robert Kempner zu benennen; der war Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen. Die CDU war dagegen. Sie war über die Jahre stark genug, den Namen des Antisemiten zu verteidigen. Inzwischen ist eine Mehrheit der Bewohner von Steglitz gegen die Treitschke-Straße. Die Fraktionen von SPD und FDP beantragten in der Bezirksverordnetenversammlung, diesen Willen umzusetzen. Grüne, SPD und FDP hätten die Mehrheit, erstmals die CDU überstimmen zu können. Doch die Grünen sind in Steglitz schwarz eingefärbt – Macht korrumpiert. Grüne und Schwarze bilden eine Zählgemeinschaft, was in den Bezirken mit einer Koalition gleichzusetzen ist. Und für die vergaßen die Grünen ihre bisherigen Vorsätze. Sie schlugen vor, die Treitschke-Straße zu belassen, aber Tafeln aufzustellen, auf denen über den Antisemitismusstreit informiert würde. Henryk M. Broder, in Berlin lebender scharfzüngiger Journalist hätte gern, dass auf einer Tafel steht: „Die Grünen: In der Opposition vorlaut, in der Regierung kleinlaut.“ Broder erhält im Juni in der Frankfurter Paulskirche den Börne-Preis. Richtig!

 

Kapital für Katholiken

April. Der Appell von Kardinal Sterzinsky war leidenschaftlich: Die Hauptkirche des Erzbistums Berlin, St. Hedwigs-Kathedraledie St. Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz, verfalle, die Gläubigen sollten spenden. Klägliche 1.400 Euro kamen zusammen. Über eine Million Euro wird die Restaurierung der im 18. Jahrhundert erbauten Bischofskirche kosten. Sie liegt am Bebelplatz, der zu den schönsten Plätzen der Hauptstadt zählt. Auf ihm ließ Joseph Goebbels 1933 Bücher verbrennen. Von den Protestanten lernen, heißt zu Geld zu kommen, scheint die Devise der Katholiken zu sein. Über lange Zeit wird der wichtigste katholische Sakralbau verhüllt sein – hinter großflächiger Werbung. Außer zu Fronleichnam und Weihnachten werden die Gläubigen vor ihrem Gebet in der Kathedrale durch Werbung in Versuchung geführt. Die katholische Kirche rechnet mit Einnahmen von 400.000 Euro durch die bunte sündige Verhüllung der Bischofskirche. Die Protestanten vermieteten vor ihnen an den Kommerz, als sie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und ihre Marienkirche am Alex mit Werbeplanen verdecken ließen. Es muss sich gelohnt haben – für beide Seiten. Die Kirche steht mitten im Leben!

 

Nur zwei Stationen

April. Die Deutsche Bahn führt Speisewagen, die S-Bahn Fress-Waggons. Die gibt es zwar offiziell nicht, zu mampfen ist in den Wagen sogar untersagt, aber es wird geruchsvoll und gierig ungeniert gefressen. In keiner deutschen Stadt ist die Nahrungsaufnahme in der Öffentlichkeit so „Sitte“ wie in der Hauptstadt. Ich steige am Ostbahnhof in die S-Bahn Richtung Potsdam. In dem Waggon sitzt ein Mann, der in seiner Hand Gebackenes mit Fleisch darin genussvoll verzehrt. Vom Geruch her müsste es Gammelfleisch sein. Der Gestank verbreitet sich durch die Sitzreihen. Wie ein Eichhörnchen die Nüsse hält er sein Essen. Bevor er zubeißt, schießt der Kopf nach vorn, die Lippen verlängern sich so wie bei Christian Wulff, sieht er ein Mikrofon vor sich. Ebenfalls eingestiegen ist ein Verkäufer für Obdachlosenblätter. Der Mann ist jung, gut gekleidet, jammert, er habe Hunger und geht aggressiv auf die Mitfahrenden zu. Eine Reihe vor mit sitzt ein Fahrgast mit einer großen Sonnenbrille. Der Bettelnde sieht den an, beugt sich leicht herunter und kläfft laut, „deine Sonnenbrille sieht nach Scheiße aus. Du siehst überhaupt wie Scheiße aus.“ Die anderen Fahrgäste sind geschockt, der Stinkfresser beißt weiter zu und zerrt das Fleisch aus der Backhülle wie eine Hyäne an einem Kadaver das Gedärm. An der Station Jannowitzbrücke steigt der schimpfende und angeblich hungernde Zeitungsverkäufer in den nächsten Waggon. Den Stinkfresser hatte er keines Blickes gewürdigt; es scheint mit dem Hunger nicht zu arg gewesen zu sein. Die Bahn zieht wieder an, das Fahrgeräusch überlagert nun wieder den genussvoll Schmatzenden. Am Bahnhof Alexanderplatz verlässt der Mann den Fress-Waggon, die Reste des  Essens noch immer in den Händen. Der Gestank bleibt. Eine Japanerin drängt sich auf einen freien Sitzplatz. In der Hand hält sie ein Brötchen mit einer Grillwurst auf Mundhöhe. Sie platziert sich in meiner Sichtweite, beugt den Kopf zur Seite und beißt in das eine Ende der Wurst. Eine Frau ihr gegenüber duckt sich vor den Spritzern weg. Vielleicht waren es Wasser- und keine Fettspritzer.

 

Maren kauft ein

April. Ließen die Amtskirchen futuristisch bauen, wäre der Konsumtempel Stilwerk eine hypermoderne Kathedrale. Beim Eintritt in die lichtdurchflutete hohe Halle soll der Kunde beschenkt werden. Zwei Girls bieten „kostenlos“ die Zeitung „Der Tagesspiegel“ an. Wer sich für die Gabe interessiert, wird in ein Verkaufsgespräch mit dem Ziel Probe-Abo verwickelt. Das Stilwerk liegt abseits der Besucherströme an der Kantstraße. Auf Massenpublikum ist das Haus nicht konzipiert. Das Angebot an Möbeln, modernem Design und wenig Kleidung ist hochpreisig. Als Sokrates über den Markt von Athen ging, stellte er fest, dass viele Waren im Angebot waren, die er nicht brauchte. Der Satz gilt auch hier. Die Eingänge zu den Geschäften liegen alle in der Halle. Dem Haupteingang gegenüber am Ende der Halle befindet sich ein Laden mit Schnickschnack im Angebot: Bunte Blumen aus Holz, überteuerte Gießkannen und Tinnef. Tiefpunkt ist eine breitbeinig stehende Kuh als Schmuck für die Kaffeesahne. Der geringelte Schwanz bildet den Griff, durch eine ovale Öffnung auf dem Rücken wird die Milch eingefüllt, aus dem Maul läuft sie bei schräger Haltung in die Tasse. Wäre der Konsumtempel eine Kirche, läge an dieser Stelle der Altar. Moderne Bänke ohne Rückenlehnen laden zur Rast ein. Mir dient eine Sitzfläche als Kinoplatz für das reale Leben. Es sind überwiegend modisch gekleidete Frauen zwischen 30 und 50 im Stilwerk. Zwei Girls in kurzen Röcken und hohen Stiefeln teckern in jedes Geschäft, kaufen aber nicht - zumindest so lange ich sie im Blick habe. Eine Mutter setzt sich auf die Bank vor mir, ihr Junge trinkt gierig ein angebliches Aufbaugetränk. Die Mutter schaut desinteressiert in die Läden. Zu mir setzt sich eine Hochschwangere. Ihren Körper hat sie leicht nach hinten gelehnt, die schwarzhaarige Frau stützt sich mit den Händen ab und scheint so ihren prallen Bauch entspannen zu können. Mutter und Sohn verlassen das Stilwerk, sie hatten es nur wegen der Sitzgelegenheit betreten. Zum Ausgang eilt eine Blonde. Sie schaut von oben auf mich herunter und betrachtet mich intensiv. Groß eingekauft hat sie nicht. Die Künstlerin Maren Kroymann vertritt offensiv ihre sexuelle Ausrichtung. Gut so. Sonst wäre ich der Versuchung erlegen, ihren Blick falsch zu deuten.

Stilwerk

Götz von Berlin

April. „Götz und Schlegel, die sind abgehauen, wie kann man da die Bullen trauen.“ Nur einmal in seiner Fußballerkarriere bekam Falko Götz Zustimmung aus den Reihen der Fans von Union Berlin. Zuvor war er bei denen verhasst als Spieler des Stasiclubs Dynamo Berlin. Bei einer Westtour des Vereins hatte er sich zusammen mit dem Spieler Schlegel abgesetzt. Die Sprechgesänge damals im Köpenicker Stadion „Alte Försterei“ galten weniger dem Lob auf Götz, für die Verhöhnung der verhassten Volkspolizei hatte er eine Steilvorlage gegeben. Über seine Fluchtpläne muss er nur mit dem Spieler Schlegel gesprochen haben, selbst die Jugendliebe Susanne war perplex und konnte in allen harten Verhören versichern, er habe nichts angedeutet. In der Bundesliga galt der Berliner als extrem misstrauisch und eitel, es hieß, er konnte an keinem Spiegel vorbeigehen, ohne sich intensiv zu betrachten. Mit Angela Merkel eint ihn der Charakterzug, Strukturen zerschlagen zu wollen, rüde im Umgang mit Untergebenen zu sein, und beide sind geprägt von Misstrauen. Mit dem Trainer Hans Meyer, einst Motor Suhl, nun 1. FC Nürnberg, eint ihn die Unart, öffentlich über Spieler hämisch zu reden. Meyer höhnte über einen ausländischen Nürnberger Spieler, der habe „wohl mein Deutsch nicht verstanden“. Falko Götz über Kevin-Prince Boateng: „Er hat viele Geschwister, alle von anderen Vätern.“ Der Götz von Berlichingen widersprach drastisch der Obrigkeit, der Götz von Berlin arbeitete sich an Schwächeren ab. Bei 1860 München und dann in Berlin versuchte er die Machtstrukturen in der Mannschaft zu zerschlagen, bevorzugte Spottobjekte waren junge Spieler. Falko Götz wurde an der Isar entlassen, der Verein stürzte ab in die 2. Bundesliga. Als er bei Hertha den Stuhl vor die Tür gesetzt bekam, hatte er die Elf zur schlechtesten Mannschaft der Rückrunde gemacht. Es hieß von den Profis, sein Training sei an sich gut, aber er finde nicht den richtigen Ton. Bei den Anhängern von Union Berlin verbreitete sich über Götz nach seinem Rauswurf die Schadenfreude wie ein Flächenbrand. Im Grund haben sie ihm nie verziehen, dass er das Trikot von Dynamo getragen hatte. Mehr noch, sie empfinden Genugtuung, denn die Hertha wird von Karsten Heine trainiert – und der ist ein echter Junge von Union Berlin. Er spielte für Stahl Brandenburg und Union 242 mal in der Oberliga der DDR. Einen „Gesamtberliner“ nannte ihn deshalb die „ Berliner Zeitung.“

 

Häufchen im „Leseland“

April. „Zum Mitnehmen“, heißt es auf einem Pappplakat im Bürgeramt von Berlin-Friedrichshagen. Auf einem Tisch liegt ein Haufen Bücher gestapelt, die kostenlos abgegeben werden. Da die DDR sich als Leseland propagierte, müsste es einen Zulauf geben wie einige Meter weiter bei Kaiser’s zu den Sonderangeboten. Die ehemaligen Bürger des Leselandes beachten das Angebot kaum. Auf dem Gabentisch liegen auffällig viele wenig gebrauchte Taschenbücher aus dem Aufbau-Verlag. Überwiegend Autoren aus dem Staat der Arbeiter und Bauern werden nicht etwa verramscht, sie werden verschenkt. Helga Königsdorfs „Hochzeitstag in Pizunda“ kann der Besucher des Bürgeramtes mitnehmen, ebenso Bücher von Uwe Berger, Karl Jakob Hirsch und noch weniger bekannten Schreibern aus der DDR. Bücher von Russen werden ebenso liegen gelassen wie ein Roman der westdeutschen Autorin Luise Rinser. Ihr Werk „Hochebene“ ist im angeblichen Leseland verschmäht oder bleibt rechts liegen, denn dort steht der Tisch neben dem Eingang. Die Biografie über Feliks Dzierzynski ist als Hardcover im Angebot. Er gründete den Inlandsgeheimdienst der UdSSR und wurde von Mielke verehrt wie ein Gott. Ich nehme das Buch mit in der sicheren Erkenntnis, das läge in ein paar Wochen noch in der Behörde und würde irgendwann als Müll entsorgt.

 

„Morgens um sieben ...

April. ...ist die Welt noch in Ordnung“. So der Titel eines erfolgreich verkauften Romans. Und das wirkliche Leben? Ist mir um diese Zeit kaum bekannt. Morgens um sieben Uhr fahre ich nun in die City. Zu meiner Überraschung stehen vor dem Fahrscheinautomaten der S-Bahn Schlangen. Eine Dralle will bargeldlos eine Monatskarte ziehen – 70 Euro sind dafür angezeigt. Der Automat reagiert nicht auf ihre Eingaben. Kokett ruft sie wiederholt: „Diese dumme Bundesbahn, nein, diese Bahn.“ Die Schlange hinter ihr wird länger. Es sind nur noch zwei Minuten bis zur Abfahrt der Bahn. Ich verweise darauf, dass viele Menschen hinter der Frau stehen und pünktlich am Arbeitsplatz sein müssten. „Gleich bekommen Sie Ärger“, antwortet die Dicke. Erst Sekunden später begreife ich, dass sie mir drohte. Morgens um sieben kann die Welt auch erheiternd sein. Der Automat ist plötzlich stillgelegt. Ein Mann von der Aufsicht weiß keinen Rat. „Ich rufe in Erkner an, steigen Sie so ein.“ Sofort löst sich die Schlange nervös wartender Menschen auf, sie stürzen auf die S-Bahn zu. Die ist gut gefüllt, so dass es keine freien Sitzplätze mehr gibt. Die Menschen sitzen oder stehen missmutig im Waggon. Wenige lesen in einer Zeitung. Es sind durchweg Boulevardblätter. Erfreulicherweise sehe ich aber nicht eine Bild-„Zeitung“. Ein Mittdreißiger in einem H & M-Anzug trägt einen Laptop unter seinem Arm. In seiner Jackettasche steckt ein Exemplar des „Handelsblatts“, Titel nach oben; er liest aber nicht darin. Ich sehe keinen, der in einem Buch liest. Nicht einer versucht mit einem Handygespräch zu prahlen. Die Menschen scheinen morgens um sieben durchweg müde. Hoffentlich gibt es keine Kontrolle, es müsste diskutiert werden wegen der ausgefallenen Automaten. Natürlich würde der Kontrolleur das für eine Ausrede halten. Am Ostkreuz werden Sitze frei. Ich sitze endlich und schaue auf mein Gegenüber. Der hält die Augen geschlossen, sein Mund fällt wegen Saugbewegungen auf, wie es bei schlafenden Babys zu bobachten ist. Auf Höhe der Warschauer Straße greift er in seine Jacke, dort wo andere die Brieftasche sitzen haben, trägt er eine Flasche – Wasser? Zumindest das Etikett weist sie so aus. Ich bin sicher, darin befindet sich kein Wasser. Er macht einen gierigen Schluck, verschließt die Flasche umständlich, schließt die Augen und macht wieder seinen seligen Schnullermund. Am Ostbahnhof gilt das Argument mit dem Automaten nicht mehr. Schnell wird eine Fahrkarte gezogen und entwert, ab in die nächste S-Bahn Richtung Friedrichstraße. Am Alexanderplatz und im Bahnhof Friedrichstraße drängen die Menschen aus der Bahn. Hier führt eine Fußgängerbrücke auf das rechte Ufer der Spree. Sie ist dunkel, durch ihre Gestänge weht meist ein Wind, auch bei hellem Sonnenlicht überwiegt auf ihr ein beängstigendes Halbdunkel. Ein Osteuropäer spielt hier täglich auf seinem Akkordeon. In dieser Frühe aber noch nicht. Kurt Tucholsky schreibt 1923 über Berlin: „Da rauscht der Strom der Insgeschäftgeher durch die Stadt. Morgen für Morgen taten sie so. Sie trotteten dahin, sie gingen zum Heiligsten, wo der Deutsche hat, zur Arbeit.“ Auf der anderen Uferseite überholen sich die Fußgänger in Eile. Die vielen Coffee-Shops sind noch geschlossen. Eine Mensa der Charité ist es auch. Nur einige Schritte weiter hat der Selbstbedienungsladen „Café Luise“ geöffnet. An einer langen Theke lieg Gebäck, belegte Brötchen und Baguettes aus. Im Café sitzt zu dieser Zeit niemand. Aber an der Verkaufstheke drängeln Männer und Frauen, denen ihre Büroberufe anzusehen sind. Das Gekaufte wird in Tüten verpackt, Kunden beginnen auf dem Weg zur Arbeit sofort zu frühstücken. In Richtung Charité hat lediglich Lidl geöffnet. Nur eine Kasse ist besetzt, auch hier eine lange Schlange. Jeder Wartende hat wenig gekauft, wahrscheinlich sind es Ergänzungen zum Frühstück auf der Straße. Vor dem Hochhaus Charité sitzen einige wohlgenährte Patientinnen in der Sonne und ziehen zumeist gierig an ihren Zigaretten. Im Krankenhaus ist es um diese Zeit ruhig, gelegentlich wird ein Patient durch Flure geschoben.

Eine Stunde später das gleiche Bild: Nur Lidl und das Selbstbedienungscafé Luise sind geöffnet. Der Kundenstrom ist abgeflaut. Vor dem Lokal „Ständige Vertretung“ werden Tische aufgestellt und Stühle platziert. „Wir öffnen erst um zehn“, beantwortet laut ein Mann meinen fragenden Blick. Alle anderen Lokale sind ebenfalls noch dicht. Auf der Weidendammer Brücke kommt mir eine modisch in schwarz gekleidete Endzwanzigerin entgegen – sie raucht und hat einen Qualmausstoß wie eine kleine Arbeitslokomotive. Hinter ihr isst ein Mann sein Frühstück, eine Frau hinter ihm ebenfalls ihres. Nahe dem Bahnhof Friedrichstraße stehen die Türen zum „Opel-Café“ weit auf. Nicht ein Tisch ist besetzt, deshalb mag ich nicht hineingehen. Der Gast könnte zu intensiv vom Personal beobachtet werden. Das Kulturkaufhaus Dussmann mit einem Café im Hause ist noch verschlossen. Da fällt mir ein, das „Einstein“ Unter den Linden öffnet schon um acht Uhr. Nur wenige Plätze sind besetzt. Die neuesten Zeitungen, auch aus der Schweiz, sind im Angebot. In der Frühe gibt es aber nur eine Kuchensorte. Markus Söder tänzelt durch den langen Vorraum. Der braune Anzug sitzt schlecht und ist faltig, die wenigsten Gäste erkennen ihn. Der Geschäftsführer des Cafés dienert um ihn herum. Warum als Münchner so früh in Berlin? Es ist der Tag, an dem sich Stunden später Oettinger von Oettinger distanziert, die Koalitionsrunde ist für den Abend angesagt. Der Stoiberist steigt in die untere Etage hinab zur Toilette. Soll ich wieder beobachten, welcher Politiker sich „danach“ die Hände wäscht und welcher nicht? Für heute nicht.

Kurt Tucholsky 1923: „Da fuhr die Bahn an einem Tennisplatz vorüber. Die güldene Sonne spielte auf den hellgelben Flächen – es war strahlendes Wetter, viel zu schön für Berlin.“   

 

Zitate

„Die Baden-Württemberger sollen nach den türkischstämmigen Berlinern die größte ethnische Minderheit in Berlin darstellen.“
Berliner Zeitung vom 3. April 2007.

„Hamburg ist ordentlicher, bürgerlicher und weniger mit kreativen Leuten aufgeladen als Berlin. Man schaut dort etwas scheel auf Menschen, die außerhalb der Norm sind. In Berlin kuckt keiner, wenn einer ein bisschen merkwürdig aussieht. Und es gibt viele Leute, die merkwürdig aussehen.“
Dieter von Froreich, Kommunikationsdesigner.

„Kunst, Kultur und Knut“.
Laut rbb das klassische Programm der vielen Touristen zu Ostern in Berlin.

„Knut beliebter als der Osterhase“.
Bild-„Zeitung“ am Karsamstag.

„Nicht schon wieder, denken die Fahrgäste in der U- und S-Bahn. Da kommt schon der bekannte Typ mit der weinerlichen Stimme, der uns ein Straßenmagazin verkaufen will. Oder diese Frau, die uns seit Jahr und Tag erzählt, dass sie obdachlos ist und etwas Kleingeld braucht. Oder diese Musiker, die uns und ihre Instrumente von Station zu Station mehr quälen als unterhalten und dann die Hand aufhalten. Wir Berliner, ob hart- oder warmherzig, kennen die meist freundlichen Quälgeister und die Erfahrung zeigt, dass sie für ihre Ansagen nicht allzu reichlich belohnt werden. Das Geld sitzt bei den meisten Fahrgästen nun mal nicht locker. Viele schalten auf stur, wenn um eine kleine Gabe gebeten wird.
In diesen Tagen aber stellen wir fest, dass der Typ mit der weinerlichen Stimme, die obdachlose Frau und die Musiker ein wirklich dankbares Publikum haben. Sie verkaufen ihre Magazine, sie scheffeln Münzen und ihre Musik wird unter Bravo- und Zugaberufen beklatscht. Wie schön, dass so viele Touristen in der Stadt sind. Die Berlin-Besucher freuen sich über das bunte Berlin und wir Berliner sind froh, dass wir zu Ostern ein paar Tage in Ruhe gelassen werden.“
Christian van Lessen im „Tagesspiegel“ vom 10. April.

Touristen in Berlin

„Erstmals ist Berlin ja vorbildlich, was die Aussendung eines positiven Lebensgefühls und die Verbreitung eines guten Images angeht. Wenn man an Berlin denkt, denkt man zunächst nicht an Verschuldung oder Finanzdesaster, sondern an Regierungsviertel und Riesenfeste, an ein explodierendes kulturelles Angebot.“
Christian Ude, Oberbürgermeister von München.

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