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März 2007

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Desinformation

Februar. Wieder einmal sind die Fahrtzeiten der S 3 ausgedünnt. Ansonsten fährt sie alle zehn Minuten, an diesem Wochenende im 20-Minuten-Takt, obwohl die Hertha ein Heimspiel hat und der Andrang von Fahrgästen deshalb stärker ist als sonst. Auf dem Ostbahnhof sind die veränderten Abfahrtzeiten Richtung Erkner ausgehängt. Eine Frau fragt einen Mann, der mit Auskünften helfen soll, ob die Bahn wie geschrieben um 16.57 Uhr nach Erkner fahre. „Nein“, sagt er und genießt die Unsicherheit der Frau. Er hat sie desorientiert. „Die Bahn fährt erst bis Karlshorst, dort umsteigen nach Erkner.“ Jede Bahn nach Erkner fährt über Karlshorst. Einen Tag später berichtet „Der Tagesspiegel“ von einer Untersuchung unter Berlinern. Sie sind mit den Verkehrsverhältnissen zufrieden, halten aber überwiegend das Personal für unfreundlich. Recht haben sie.

 

Drei Prozent mehr?

Februar. Der Inhaber des Cafés „Dr. Lehmann“ an der Bölschestraße in Friedrichshagen erhöhte Mitte Februar den Preis für eine Tasse Milchkaffee von zwei Euro auf 2,35 Euro. Happig war auch der 50-Cent-Aufschlag für eine Tasse heiße Schokolade, für die 2,10 Euro zu bezahlen ist. Das Tässchen Kaffee kostet nun statt 1,40 Euro 20 Cent mehr. Biertrinker werden finanziell besonders abgezapft. Für das Fläschchen Radeberger verlangt der Boss 2,50 Euro, zuvor waren es 1,70 Euro. Die Mehrwertsteuer war im Januar um drei Prozent gestiegen. Vielleicht schlug hier noch die alte sozialistische Prozentrechnung durch, denn die SED erhöhte in ihrer Propaganda auch geringe Leistungssteigerungen prozentual fast ins Gigantische. Oder es ist Kapitalismus pur: Die Bölschestraße ist der Trampelpfad für Touristen zum Großen Müggelsee. Touristen werden weltweit abgezockt, weil sie selten wieder zurückkommen.

 

„Frittenmiefig und piefig“

März. Mit diesen Wörtern verurteilte Alexander Bungard den Berliner Flughafen Schönefeld. Er schreibt in einem Leserbrief weiter: „Nicht das Provisorium ärgert den Fahrgast, dafür hat jeder international Reisende Verständnis, sondern das Ungastliche, Unliebsame, das überhaupt nicht Kundenorientierte.“ Ortsbesichtigung an einem Sonntagabend im Terminal 2. Der hat den Charme eines Notaufnahmelagers: Ein Neonlicht, das fast alle Menschen wie Wasserleichen aussehen lässt, eine fast kahle schmucklose Halle, dazu eine den Geruch bestimmende Pommesbraterei, ein Zeitungskiosk, zwei Bundespolizisten flanieren durch eine Halle, in der wegen ihrer Größe auch Flugzeuge gewartet werden könnten. Die Toilette wird aber in kurzen Abständen auf ihre Sauberkeit überprüft. Es ist der Bereich für so genannte Billigflieger. Ob denen auch bei der Ankunft jeder Anspruch auf Komfort abgesprochen wird? Sehr kurz hintereinander landen die Maschinen aus Zweibrücken oder anderen Provinznestern. Die dem Beobachter entgegenflutenden Fluggäste könnten so auch gerade aus der S-Bahn kommen. Die preiswerten Angebote haben das Fliegen demokratisiert, gelegentlich auch proletarisiert. Am Sonntagabend kommen Handwerker oder Angestellte zurück vom Heimatort an die Arbeitsstelle in der Hauptstadt. Ortskundig eilen sie aus der Halle. Nur ein Ankommender hat mehrere Koffer, er ist gut gekleidet, in einem Fall höre ich eine Frau in ihr Handy sagen: „Ich finde Ihren Fahrer nicht, der hier auf mich warten sollte.“ Viele tragen das Handy mit angewinkeltem Arm am Ohr und sagen fast wie im Chor, wenn auch jeder einzeln: „Ich bin gerade in Schönefeld gelandet.“ Für die Erstreisenden beginnt nun die große Unsicherheit. Eine weite Strecke müssen sie zu Fuß von der Ankunftshalle zum Bahnhof zurücklegen. Ist es windig und der Regen peitscht, sind die Fluggäste den Naturgewalten ausgesetzt. Schönefeld war Regierungsflughafen der DDR. Staatsgäste mussten die weiten Strecken nicht laufen. Der Bahnhof Schönefeld hat unterirdisch breite Gänge. Was damals so protzig angelegt war, lässt in der Gegenwart frösteln, das Licht ist funzlig, ein schummriges Halbdunkel. Die Anzeigetafeln stammen noch aus dem Staat der Arbeiter und Bauern. Das wäre nicht schlimm, aber die Angaben sind verwirrend. Die Regionalbahnen nach Dessau oder Belzig, fahren die nach Berlin? Nein, doch der Fremde weiß das meistens nicht. Mehrere Regionalbahnen fahren aber durch Berlin, stoppen an den Stationen Ostbahnhof, Alexanderplatz, Friedrichstraße, Hauptbahnhof und Bahnhof Zoo – auf  den Anzeigetafeln steht es nicht. Darauf sind oft nur die Zielbahnhöfe wie Eisenhüttenstadt oder Spremberg ausgewiesen. Der Ankömmling durchschaut das nicht. Es bleibt ihm die im 20-Minuten-Takt fahrende S-Bahn. Aus der City Berlins fährt eine S-Bahn alle zehn Minuten nach Erkner ins Brandenburgische, aber zum Flughafen ist der Takt doppelt so lange.

 

Siebzehn Jahre danach

März. Weil er Zeit vor seiner Abfahrt nach Chemnitz hat, schlendert der Autor Marko Martin um den Bahnhof Lichtenberg im Ostteil. Es ist August 1990. Noch gibt es die DDR, aber eine mit offenen Grenzen. “Das hier hat sich nicht verändert, ödes Alltagsgesicht eines Stasi-Staates“, notiert er in sein Tagebuch. Marko Martin verließ mit einer Ausreisegenehmigung im Frühjahr 1989 endlich den Staat der Arbeiter und Bauern. „Die Abneigung dem Ort gegenüber ist sofort da, eine stechende böse Verachtung dieser Häuser hier, der Fenster, der Geschichten, die sich hinter blinden Scheiben mit den obligatorischen Blumentöpfen abspielen: Das Leben findet anderswo statt. Diese bedrohliche Freudlosigkeit, das Proletenhafte, Kleinbürgerliche mit ihren vergilbten Blockwartseelen – nein, keine Sehnsucht danach.“ Der Autor ist auf Erinnerungstour und sucht nach den Resten der abgewrackten DDR. „Ob es hier auch Mädchen gibt, irgendwo, in diesen Zimmern, schöne Frauen oder nur die Töchter jener zerknirschten Zwerge mit dem schütteren Haar und den schmalen Lippen, Töchter, die frühzeitig in HO-Kittelschürzen gepresst wurden, die ihre Wochen, ihr Leben zwischen Kaufhalle, Straßenbahn und endlich errungener Neubauwohnung mit Klo und Katze plus langweiligem Ehemann, auf kleiner Flamme verplemperten und verpimperten und verwarteten?“
Auf dem Weg zurück zum Bahnhof Lichtenberg: „Die Geschäfte haben ihre Vorkriegs-Rollladen heruntergelassen, auf einigen steht seltsamerweise mit abgeblätterter Farbe geschrieben: ‘Dies Geschäft ist geöffnet‘.
Eine Gaststätte an der Ecke hat wirklich geöffnet, Gegröle dringt nach draußen, die Tür ist offen, nassglänzende Bierlachen auf bräunlichem Linoleumfußboden, daneben steht mit weißer Kreide auf einer Schiefertafel: ‘Im Angebot – Broiler.‘ Danke, kein Bedarf.
Die Aufschriften an den Häuserwänden verraten einiges: ‘Tötet Ausländer und Linke! Wozu die Zeit totschlagen, es gibt doch Rechte! Deutschland, verrecke, Juda verrecke!‘“

Die Saat aus der DDR ist hier aufgegangen. Seit 2006 sitzen drei gewählte Vertreter der NPD im Bezirksparlament von Lichtenberg. Straßen um den Lichtenberger Bahnhof gelten als Aufmarschgebiet der Neonazis. Wiederholt wurden Politiker aus dem linken Spektrum dort zusammengeschlagen. Mit „deutscher Küche“ wird geworben, ein türkisches Lokal stürmten rechte Randalierer. In 17 Jahren hat sich nichts verändert. Vom Bahnhof Lichtenberg starteten einst Züge in das Vaterland aller Werktätigen, die UdSSR, und in die skandinavischen Länder. Inzwischen ist er vom internationalen Zugverkehr abgekoppelt. Einen ungenutzten Raum im Bahnhofsgebäude wollen zwei Kirchen als ökumenischen Freizeittreff eröffnen. Das Bezirksamt Lichtenberg plant einen Jugendclub zu gründen und streng darauf zu achten, dass Nazis draußen bleiben. Die sind in der Gegenwart leichter als früher zu erkennen, vor 17 Jahren trugen viele von ihnen noch die einheitliche Bluse der FDJ.

Neu ist eigentlich die Meldung der „Berliner Zeitung“ vom 8. März nicht: „Türke in Lichtenberg fremdenfeindlich beleidigt.“ So die Titelzeile. „Der 37-jährige Betreiber des Dönergrills in der Weitlingstraße in Lichtenberg ist erneut fremdenfeindlich beleidigt worden. Ein 47-jähriger angetrunkener Mann hatte ... den Imbiss betreten und Gäste sowie den Inhaber beschimpft. Als der Streit zu eskalieren drohte, alarmierte der Türke die Polizei. Sie nahm den 47-jährigen Mann fest. Zuletzt war der Döner-Betreiber im Dezember vergangenen Jahres angegriffen worden. Der Weitlingkiez wird von der Polizei besonders beobachtet. Das Areal gilt als Hochburg der Rechten.“ Und am 27. März meldeten alle Blätter der Hauptstadt, dass am Vortag an mehreren Stellen Nazi-Schmierereien entdeckt wurden.

 

125 Jahre danach ...

März. Im Februar vor 125 Jahren fuhr erstmals eine Stadtbahn vom Ostbahnhof nach Charlottenburg über damals 721 Bögen und 64 Brücken. Mitte Mai vor 125 Jahren startete die erste Fernbahn quer durch die Hauptstadt Richtung Hannover. Zuvor zuckelten die Bahnen über den Ring um statt durch Berlin. Der Abfahrtsbahnhof hat nach verschiedenen Namenswechseln – Schlesischer Bahnhof, Hauptbahnhof und nun wieder Ostbahnhof – für Fernbahnen seine zentrale Rolle verloren. Im Jahre 1945 durchfuhr Josef Stalin in einem Sonderzug den Ostbahnhof zur Potsdamer Konferenz; im September wurde er nach den Zerstörungen bei der Schlacht um Berlin für den Reiseverkehr wieder eröffnet. In der DDR wurden hier Staatsgäste empfangen, er war Hauptbahnhof der Hauptstadt der DDR. In den neunziger Jahren wurde der Ostbahnhof modernisiert. Die Empfangshalle ist hell und kirchenhoch gebaut. Das Eiscafé „Tiziano“ ist eine gute Adresse für Freunde italienischer Produkte. Seit 2006 starten von hier nur noch die ICE in Richtung Westen und Südwestdeutschland. Es ist ruhig geworden. Der Eisesser findet immer einen Platz. Im Pressecentrum drängeln sich keine Käuferschlangen mehr nach Zeitungen. Wer gern im Angebot von Fachblättern schmökert und am Ende nicht kauft, fühlt sich nun mehr als früher vom Verkaufspersonal beobachtet.

Ostbahnhof

Die Tour 125 Jahre nach der Jungfernfahrt führt vorbei an Plattenbauten, die wie eine überdimensionale Mauer wirken. Erste Station ist der S-Bahnhof Jannowitzbrücke. Unterhalb des Gebäudes saßen einst junge Sportler, die einen Fußballclub gründen wollten und nach dem Namen suchten. Der vorbeischippernde Ausflugsdampfer Hertha wurde Namensgeber der Nummer Eins im Berliner Gegenwartsfußball. Der Bahnhof liegt eng an der Spree. Auf dem anderen Ufer war früher die Zentrale des FDGB. In dem „Tisch-Haus“ residiert der chinesische Botschafter mit einer Armada von Zuarbeitern. Das Haus ist gesichert wie ein militärisches Hauptquartier. Die Spree fließt weg von der Bahnlinie. Seit 1928 fahren die regionalen Bahnen elektrisch, es entstand der Name S-Bahn, die seitdem eine „Stadtschnellbahn“ wurde. Die erreicht den Alexanderplatz. Bratwurstverkäufer am AlexDie riesige Halle belegt, dass vor Jahrzehnten hier noch Fernbahnen hielten. Vom Alex starten U- und Straßenbahnen, in Berlin Tram genannt, so dass hier immer ein starker Andrang an Fahrgästen herrscht. Alfred Döblin schreibt 1929: „Es gibt Wind, der pustet zwischen die Häuser rein und auf die Baugruben. Mancher möchte sich in den Kneipen verstecken.“ Die gibt es seit der Bombardierung um 1945 nicht mehr. Doch der frische Wind weht weiter über die riesige Fläche des Bahnhofsvorplatzes, zusätzlich gibt es zurzeit viele Baugruben.  Rund 87 000 Quadratmeter Verkaufsfläche sind im Bau. Oder in der Planung. Im Herbst wird das Einkaufszentrum „Alexa“ eröffnet. Das von Portugiesen geplante Center wird das mit Abstand größte an der Spree. Ostdeutschland gilt ohne bisherigen statistischen Beleg als Region mit der stärksten Bratwurststanddichte pro Kopf in Europa; die Spitze bildet wohl das Überangebot an mobilen Bratwurstverkäufern, so dass der Alex und der Geruch nach verbrauchtem Fett eine Symbiose bilden.

 

 

Die dritte Station seit dem Start am Ostbahnhof ist der Hackesche Markt mit einer Halle aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In seinen Bögen unterhalb der Bahn sind Cafés und Restaurants. Die Gegend um die Station gilt als „trendy“. Der Hackesche Markt zieht Touristen an, als seien in den Pflastersteinen Magnete eingebaut. Der Touristenseite gegenüber sitzt der Bundesvorstand des DGB. Bis zum Ende der DDR hieß die Station Hackescher Markt Marx-Engels-Platz; das Gebiet um den Bahnhof war dramatisch verfallen. Die „Stadtschnellbahn“ überquert nun die Spree und hält im Bahnhof Friedrichstraße. Nach der Eröffnung dieser Strecke war er wie der Bahnhof Alexanderplatz noch Haltepunkt für Fernzüge. In der Gegenwart stoppen hier die S- und Regionalbahnen. Seit Gründung der DDR war die Friedrichstraße Grenzbahnhof. Als die Mauer noch nicht gebaut war, wurde hier letztmalig von den Uniformierten der DDR kontrolliert, Weiterfahrt Richtung Westberlin. Nach dem Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“ galt das Gebiet als schusssicher verbaut. Wer aus dem Westen in den Ostteil der Stadt reiste, erinnert sich ungern an die schmalen neonbeleuchteten Gänge unten im Bahnhof. Es war der Weg zu den Kontrollen durch Grenzer und Zöllner der DDR. Die einzige Erheiterung war, wenn der Uniformierte fragte: „Führen Sie Waffen ein?“ Ihre Stiefel verbreiteten den Geruch nach schweinslederner Macht.

Nach kurzem Halt überquert die S-Bahn wie ihre Vorläuferin vor 125 Jahren erneut die Spree. Der Reichstag ist zu sehen. Bis 2006 folgte der Lehrter Stadtbahnhof. Er war für Flüchtlinge aus der DDR der erste Halt im Westen. So manche Uniform eines britischen Soldaten wurde hier wie die Befreiung empfunden. Seit einem Jahr steht an dieser Stelle ein riesiger Kaufmarkt mit Gleisanschluss, der moderne Hauptbahnhof von Berlin. Zwei Fußballfelder entfernt liegt, zur Kunsthalle umgebaut, der einstige Hamburger Bahnhof. Von ihm reisten die Berliner an die Elbe oder die Menschen von dort gönnten sich eine Tour in die Hauptstadt; einen Gleisanschluss zur S-Bahn gab es nicht. Nach dem Hauptbahnhof unterfließt die Spree diese 125 Jahre alte Strecke, die Bahn erreicht den Bahnhof Bellevue. Der Name klingt großartiger als das Gebäude auf die Reisenden wirkt. Auch das Umfeld steht in einem Kontrast zu dem Namen. Zu sehen ist von hier der moderne Glaspalast des Bundesinnenministeriums. Vom danach folgenden S-Bahnhof Tiergarten schaut der Fahrgast auf die gerade gezogene Achse vom Brandenburger Tor bis kurz vor die Stadtausfahrt Avus. Zu sehen ist die Siegessäule, das Brandenburger Tor, auf der anderen Seite verschwindet die breite Straße im Dunst und einem Meer grauer Mietshäuser.

Hiernach läuft die S-Bahn in den riesigen Bahnhof Zoo ein. Der wurde 1884 als Fernbahnhaltepunkt eröffnet, seit 2006 fahren die ICE und IC ohne Halt durch. Die Bahn argumentiert, Stopps würden zu viel Zeit kosten. Seit einem Jahr gibt es Aktionen, der geschichtsträchtige Bahnhof möge wieder Fernzughaltepunkt werden. Bisher nutzten sie nichts, nur Regionalbahnen halten noch unter der riesigen Kuppel.

Zweitletzter Haltepunkt auf der alten Strecke quer durch Spree-Athen ist der Bahnhof Savignyplatz. Auch er zieht Touristen an. Um den Bahnhof gibt es viele Restaurants und Geschäfte für gehobene Textilien. Seit dem Fall der Mauer hat die Gegend um den Bahnhof Savignyplatz aber an Anziehungskraft eingebüßt. Hier sind eher die „Westler“ unter sich.

In Charlottenburg war vor 125 Jahren Endstation. Nun fährt die S-Bahn von hier nach Spandau und Potsdam, vorbei am Wannsee, der Badewanne Berlins. Erst 2006 wurde die S-Bahnstation saniert. Es gibt noch wenige Meter entfernt extra einen Bahnhof Charlottenburg für die Regionalbahnen. Von hier starten einige Linien ins Brandenburgische. Charlottenburg war nach dem 1. Weltkrieg Sammelpunkt vieler vor den Kommunisten geflohener Russen – deshalb wurde der Stadtteil auch Charlottengrad genannt. Charlottenburg war in den zwanziger Jahren für Reisende in Fernzügen aus Richtung Ruhrgebiet oder gar den Niederlanden, Belgien und Frankreich der erste Haltepunkt in Berlin. In der Gegenwart ist die Station eher schmucklos.

 

Wie in Paris

März. Fischer kennen die Richtungen von Heringsströmen, sie können sie jedoch nicht erklären. Bei Touristen ist es ähnlich. Der Vergleich mit Heringen drängt sich am S-Bahnhof Savignystraße auf. Läuft die Bahn aus Richtung City ein, zieht es die Touristenströme fast nur zum Ausgang gegen die Fahrtrichtung. Den gegenüberliegenden, der sich optisch nicht vom anderen abhebt, meiden sie. Er führt in die Schlüterstraße, in eine fast touristenfreie Zone. Wenige Meter vom Bahnhof entfernt können Berliner in ein Stück Frankreich abtauchen. Das Lokal „Jules Verne“ gleicht einem Bistro von Paris. Dort wo die Bewohner der nächsten Umgebung regelmäßig essen, an Zweiertischen sitzen, das Servierpersonal kennt die Getränkewünsche der in Deutschland so genannten Stammkunden. Vor dem „Jules Verne“ wird am Fahrradständer für Gauloises geworben. Es ist jene filterlose Zigarette, die in französischen Filmen der Schwarzweißzeit geraucht wurden. Im Innern hat das Lokal Pariser Flair. Petra Lidschreiber, bis vor kurzem Chefredakteurin des rbb, isst hier gelegentlich „geschäftlich“. Drei Mittagsgerichte ab 5,50 Euro stehen täglich neu auf der Karte. Ein vegetarisches, dann Fisch, das dritte hat Fleisch im Angebot. Die Vorspeisen sind entweder ein „Süppchen“ oder Salat. Zum Nachtisch heißt es auf der Karte, servierten sie „gern einen Espresso“. Schweinefleisch fehlt im Angebot. Wohl wegen der Pächter. Einer ist Ägypter, die Geschäftspartnerin eine Deutsch-Libanesin. Ein Brasilianer sorgt oft für die Getränke. Im Lokal sind viele Zeitungen im Angebot, unter Vitrinen kann der Gast die Bücher von Jules Verne in den Ausgaben unterschiedlicher Länder betrachten. Viele Gäste kennen sich. Eine Spanierin kommt nie vor 14 Uhr, sie liest „El Pais“ und nimmt ihr Essen während des Lesens grundsätzlich nur mit der Gabel zu sich. Vier Männer und eine Frau einer Fachzeitschrift parlieren gelegentlich zu laut. Die Stammgäste wissen aber schon, dass sie alle toll sind. Das Frühstücksangebot ist auf den Namensgeber abgestellt: „20.000 Meilen unter dem Meer“: Orangen-Krabbensalat, hausgebeizter Lachs mit Meerrettich und Thunfisch-Selleriemousse ... Ein Frühstück wird „In 80 Tagen um die Welt“ genannt, ein anderes „Zum Mittelpunkt der Erde.“ Wer länger in Zeitungen vertieft im Lokal sitzt, wird nicht nach Berliner Art von der Bedienung drangsaliert mit Fragen: „Darf es noch was sein?“ Gelegentlich kommen einzelne Touristen vom Strom ab und kehren hier ein. Nicht weil sich die meisten Gäste kennen fallen sie auf, sie sind unsicher und zögern, wohin sie sich setzen sollen. Platziert wird nicht. www.jules-verne-berlin.de

Jules Verne

Zitate

„Berlin ist die Hauptstadt für den deutschen Film, hier sitzen die Filmschaffenden. Ich habe sehr viele Bekannte und Freunde hier, und es ist nahe an Hamburg, wo meine Familie lebt – das gab den Ausschlag.“
Dass Til Schweiger im März nach Berlin zieht.

„Als ich mich mal im Berliner KaDeWe umsehen wollte, warf man mich raus, völlig zu Recht. Ich war ein ungebildeter Ossi, roch nicht gut und konnte mich nicht benehmen.“
Der Maler Georg Baselitz

„Mein Ziel heißt Berlin. Aber wann genau das sein wird, weiß ich nicht.“
Herbert Grönemeyer gegenüber „Vanity Fair“

„Die Menschen, die kulturellen Orte, die Nacht und den Kaffee am Rosenthaler Platz.“
Was die Schriftstellerin Ariadne von Schirach an Berlin mag.

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