Leseproben
Auszug aus:
Hans Dieter Baroth
“Jungens, euch gehört der Himmel!”: Die Geschichte der Oberliga West 1947-1963
Sachbuch, Essen 1988
Die Urfassung liegt nicht mehr als Datei vor, der folgende Text unterscheidet sich geringfügig vom Buchtext.
Als Heinz Cichutek von butterweichen Flanken träumte
“Kuzorra-Schüler besiegten den Lehrmeister”, titelte am 6. Oktober 1947 eine rheinische Zeitung über den Spielbericht der Heimniederlage von Schalke 04 gegen die Spielvereinigung Erkenschwick. Seit Einführung der Gauliga 1933 als höchste Klasse hatten die Gelsenkirchener nicht mehr zu Hause verloren.
“Alt-Meister” Schalke 04 war am 4. Oktober 1947 auf eigenem Geläuf von der aufstrebenden Elf aus Erkenschwick geschlagen worden. Jule Ludorf, damals in der Ganzzeit seines Fußballerlebens, über diese Epoche: “Horst-Emscher, Katernberg und Erkenschwick hatten technisch schon bessere und vor allen Dingen auch jüngere Mannschaften. Die meisten bis dahin weniger prominenten Kicker spielten schon Jahre zusammen und kannten sich im Spiel blind. Abwanderungen waren noch ziemlich unbekannt. Wir waren damals tatsächlich besser als Schalke 04 .”
Die erste Heimniederlage in der Oberliga West bezog die Elf um den Spitzenspieler Ernst Kuzorra an einem Samstag. An diesem Tag waren 25.000 Zuschauer in die wieder aufgebaute Glückauf-Kampfbahn gekommen. Die Fußnote dieser Niederlage auf Schalker Gelände: Ernst Kuzorra hatte dabei die Hand im Spiel. Von 1943 bis 1946 hatte er zusätzlich zu seinen Einsätzen für Schalke die Spielvereinigung Erkenschwick trainiert. An diesem 4. Oktober 1947, von dem Erkenschwicks Torwart Heinz Cichutek später sagte, es sei “ein herrlicher Herbsttag gewesen”, kam der Alt-Internationale in die Umkleidekabine der Stimberger. Die Erkenschwicker Spieler Jule Ludorf, Heinz Silvers und Franz Berger erinnerten sich 40 Jahre später übereinstimmend, dass er einen Trainingsanzug übergestreift hatte. Das war zur Reichsmark-Zeit eine auffällige Rarität. Ernst Kuzorra setzte sich auf eine Bank und soll gesagt haben: “Hört mal, Jungens, ihr habt da einen Mehrmann aufgestellt. Ich habe gehört, der ist nicht spielberechtigt, nehmt ihn raus”. Beratungen beim Gegner der Schalker. Johann Smigielski, genannt “Janusch”, musste sich umziehen und durfte auflaufen. Mehrmann beteuerte, er sei spielberechtigt für die Erkenschwicker. Aber “Janusch” spielte.
“Wir standen von der ersten Minute an unter Druck”, wusste Kalli Matejka von dem historischen Ereignis zu berichten. Heinz Cichutek: “Die haben von Anfang an gefährlich unser Tor bestürmt. Aber die Schalker haben mich warm geschossen...Von dem Tibulski kamen 90 Minuten lang die Flanken. Sie wirkten immer butterweich, waren aber unwahrscheinlich scharf und hart geschossen. Davon habe ich später noch sehr oft in der Nacht geträumt.” Schiedsrichter Raspel aus Düsseldorf zeigte in der 32. Minute auf den Anstoßpunkt, Sigi Rachuba hatte das 0:1 für den Gast geschossen. Jule Ludorf: “Durch die Überlegenheit der Schalker und deren Druck haben wir, so glaube ich, zum ersten Mal einen regelrechten Konterfußball gespielt, äh spielen müssen.” In der 64. Minute musste Schalkes Keeper Heini Kwiatkowski wieder einen Ball aus dem Netz holen. Nach Vorlage von Rachuba vollstreckte Ludorf. In der 76. Minute fiel, wie sich Erkenschwicker Spieler kollektiv erinnerten, aus einem “Gewühle heraus” durch Berni Klodt das 1:2. Für die überlasteten Abwehrspieler Smigielski, Heinemann, Sperl, Silvers, Berger und Lienhard wurden das die längsten 14 Minuten ihres Lebens. Ernst Kuzorra glaubte damals während des Anlaufens gegen das Erkenschwicker Tor, Heinz Cichutek habe vier Arme und sogar acht Hände. Deutschland feierte im Oktober 1947 die Spielvereinigung Erkenschwick. Der Spieler Mehrmann war tatsächlich für den Westfälischen Verband nicht zugelassen. Wenn da der Kuzorra nicht gewarnt hätte...
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