Leseproben
Auszug aus:
Hans Dieter Baroth
Anpfiff in Ruinen: Fußball in der Nachkriegszeit und die ersten Jahre der Oberligen Süd, Südwest, West, Nord und Berlin
Sachbuch, Essen 1990
Nürnberg: Ein Korb voll Kirschen oder ein Ballen Stoff als Prämie
Nach nur 13 Tagen Gefangenschaft wird der Nürnberger Friedrich Dorsch, Jahrgang 1919, früher Spieler bei Eintracht Nürnberg, von den Amerikanern nach Wendelstein entlassen. Hier, vielleicht 15 Kilometer von Nürnberg entfernt, lebt seit der Ausbombung 1944 seine Frau. In der von Landwirtschaft geprägten Gemeinde wird “sofort wieder” Fußball gespielt. Aber Friedrich Dorsch schaut bekümmert zu. Man wolle in Wendelstein keine Fremden in der Mannschaft, wird ihm mit fränkisch-provinzieller Härte mitgeteilt. Mit seinem Schwager zusammen darf er in einer Elf des Nachbardorfes kicken. Bei einer Begegnung mit Wendelstein trennt man sich 2:2, für die Nachbarn ein sehr achtbares Ergebnis und für den Wendelsteiner Verein Anlaß, die beiden Kämpen trotz ihrer Herkunft doch aufzunehmen. Zu den meisten Auswärtsspielen radelt die Elf. Eine Begegnung vereinbart Wendelstein 1945 in Roth. Auf einem Lastwagen mit Holzvergaser fährt ein Unternehmer die Mannschaft nach Roth; es ist die einzige Autoreise zu einem Spiel im Jahr 1945. Es endet 3:3. Der Besitzer des Wagens wird mir amerikanischen Zigaretten entlohnt. Friedrich Dorsch ist inzwischen bei den US-Behörden in Nürnberg angestellt worden und konnte das Zahlungsmittel besorgen.
Im November 1945 zieht Dorsch zurück in das zerstörte Nürnberg, hier streift er die Kluft der Eintracht über. Zu den Auswärtsspielen nach Schwabach oder auch Roth reist die Eintracht in übervollen Zügen, oder, wenn genug Zigaretten gehortet sind, mit einem Laster. Gekickt wird mit einem, wie Dorsch weiß, “amerikanischen Lederball”. Der ist genauso groß wie ein in Deutschland üblicher Fußball, aber erheblich leichter. Friedrich Dorsch: “Einen Elfmeter habe ich haushoch über das Tor gesetzt. Der Ball tanzte fast auf dem Wind.”
Die in der Nazizeit auf ein Fassungsvermögen von 25.000 Zuschauern ausgebaute Anlage Ronhof in Fürth ist 1945 teilweise arg zerstört. Die Tribüne ist ausgebrannt, weitere Bauten sind von Vandalen verwüstet. Jahre später schreibt ein Vereinschronist über den Zustand des Sportplatzes, er solle “besser nicht mehr ins Gedächtnis zurückgerufen werden”. Die Fürther Sportler beginnen unter den deprimierenden Umständen mit den Wiederaufbau des Vereins und ihrer Anlage. In dem Buch “Die Kleeblättler” heißt es: “Und als am 23. September 1945 das erste Nachkriegs-Fußballtreffen draußen im Ronhof steigt, mit einem hauchdünnen 3:2 zugunsten des Clubs, sind die Weichen neu gestellt, kommt wieder Schwung auf.”
Dem Nachbarn aus Nürnberg erging es zunächst noch schlechter: Die eigene Anlage, der berühmte “Zabo”, ist von den US-Behörden beschlagnahmt. Seine “Heimspiele” muß der berühmte “Club” aus Nürnberg auf dem Geläuf seines ärgsten Konkurrenten, auf dem Fürther Ronhof austragen. “Altes Zeug vom Platzwart” bekommen die Kicker in Schwarzrot als Kluft. Daran erinnert sich Max Morlock noch 44 Jahre später. Seit 1941, damals war er 17 Jahre alt, spielte er in der Ersten. “Mit einer Genehmigung der Bannjugend”, wie er sich zu erinnern glaubt. Vor Ende des Krieges wurde der Spieler Morlock noch eingezogen. “Meine Fußballstiefel habe ich über ein Vierteljahr lang in meinem Tornister mit herumgeschleppt.” Max Morlock zwar nicht mit dem Marschallstab, wohl aber mit seinen geliebten Tretern in der Wehrmacht. Nach der Gefangennahme in Dänemark wurde er bald entlassen. Mit seinen durch Mitteleuropa geschleppten Fußballschuhen beginnt er 1945 wieder beim Club. Nach der Arbeit bei Bosch radelt er zweimal in der Woche zum Training. Die berühmten Nürnberger bestreiten gelegentlich statt des Trainings Werbespiele in der Region. In Heroldsberg für einen Korb Kirschen pro Kicker und in Aschaffenburg für einen Ballen Stoff je Spieler. Als Entlohnung gibt es 1945 regelmäßig, auch noch später in der Oberliga, pro Spiel “fünf Reichsmark und einen Bon”, mit dem etwas stärkeres Bier bezogen werden kann. “Unser Trainer wetterte aber selbst gegen dieses schreckliche Dünnbier”, weiß Max Morlock. Die Schwarzroten reisen in diesen Tagen mit einem Auto, das auf Holzgas läuft.
Als besonders clever “und dem Materiellen sehr zugetan” erweist sich der Club-Kamerad Robert Gebhardt. Der Sohn eines Kneipiers erhält deshalb den Spitznamen “Zapf”. Dieser “Zapf” Gebhardt schafft Beziehungen zu den Metzgern des Nürnberger Schlachthofes. Er besorgt ihnen Freikarten für den Club, die wiederum zwacken Fleisch für die Spieler ab. In der Gasthausküche der “Zapf”-Eltern wird es dann gekocht oder gebraten. Bei Reisen nehmen die Kicker Eßpakete mit. “Da konnte man nicht einfach mit dem Wagen anhalten und irgendwo essen”, erinnert sich Max Morlock über vier Jahrzehnte später.
Beim “Heimspiel” des Clubs auf dem Fürther Ronhof gegen die Schwaben aus Augsburg sind die Ränge prall gefüllte. “Wie vor dem Krieg”, sagt Verteidiger Willi Billmann, Nationalspieler zwischen 1937 und 1941, bevor die Elf in das lädierte Stadion einläuft. Trainiert wird beim Altmeister Nürnberg zweimal in der Woche. Auch Willi Billmann radelt zu den Übungen. Von der Firma Siemens kann er oft erst spät weg. Im Herbst und Winter ist es schon dunkel, wenn er eintrifft. In einer zerstörten Turnhalle, gelegentlich aber auch im Hinterzimmer einer Gaststätte, auf lädiertem Parkett, hält er sich mit Seilspringen für die Spiele fit. Die Kluften des Clubs sind zerschlissen, die Socken der Spieler mehrfach geflickt. In dieser Zeit bekommt der frühere Nationalspieler Willi Billmann zusätzlich einige Lebensmittelkarten zugeschoben: von Sepp Herberger, der als ehemaliger Angestellter des Reichsamtes für Sport Berufsverbot hat. Offensichtlich wird Herberger heimlich gesponsert, und einen ausgesuchten Kreis von meist süddeutschen Nationalspielern läßt er durch die Zusendung von Karten daran teilhaben.
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