Leseproben
Auszug aus:
Hans Dieter Baroth
Nie mehr Wattenscheid: oder: Merkel trägt kein Toupet
Roman, Oberhausen 2006
Am Abend rief Ralf an. Er habe für Montagmorgen einen Auftrag – ich sollte vor dem Gebäude der CDU hören, ob Spitzenpolitiker was sagten. Sofort anrufen, so der Auftrag, dann habe die Agentur eine Nachricht vor den Fernsehsendern. Und wenn nichts dabei herauskomme, fragte ich. Ob ich mir vorstellen könnte, wie viele Reporter und Fotografen in den einschlägigen Berliner Lokalen hocken, nur mit dem Ziel, einen Spieler der Hertha dort saufen zu sehen, da warteten auch einige ohne Ausbeute.
Montag, 7. Februar
Ein schöner sonniger Montag. Karneval an der Spree - am Rosenmontag keine Spur. Ich mischte mich unter das Rudel der Wartenden. Angela Merkel entete durch die Meute mit einem merkwürdig überlegenen Grinsen. Ob ihr die fünf Millionen Arbeitslosen als politisches Geschenk willkommen sind? Zu beweisen ist es ihr nicht. Christian Wulff fuhr vor. Ich war fest überzeugt, er machte eine Saugbewegung mit dem Mund und sog so die Mikrofone an sich. Gegen VW habe er nichts, es sei falsch, was ihm die SPD unterstelle; der Ministerpräsident, er sprach von sich in der dritten Person, stehe für Sauberkeit. Danach blies er die Saugluft wieder heraus und die Mikros konnten zurückgezogen werden. Neben mir sagte eine weibliche Bohnenstange, die eine schwere Kamera von ihren schmalen Schultern bugsierte: „Wenn der einen Autounfall hat, wird der letzte Satz sein: Welch ein Pressecho gibt das.“ Die Kollegin könnte mit ihrer Figur auch als Model für die Aktion „Brot für die Welt“ ihr Geld verdienen.
Über mein Handy gab ich die Meldung in die Agentur. So wie Wulff es gesagt hatte. „Das Gegenteil wäre eigentlich die Nachricht“, hämte Ralf. „Wir melden auch dieses. Zumindest in Niedersachsen wird das gedruckt. Im Emsland bestimmt. Gratuliere zu deinen 50 Euro.“ Dann war der Kontakt beendet. Hiernach feierte ich in dem Lokal Ständige Vertretung mit Rheinländern bis zu meinem Filmriss. Feiern können die Rheinländer toll. Die Westfalen sagen, aber nur das. Die hätten in Köln auch nicht 700 Jahre an dem Dom gebaut, wie behauptet wird, 700 Jahre sei nichts daran gemacht worden.
[...]
Dienstag, 15. Februar
Silke muss auf ihrem Display zu meiner Nummer meinen Namen eingegeben haben, denn als ich sie gestern am Morgen anrief, meldete sie sich mit der Frage: „Was willst du?“ Ein Stich fuhr durch meinen nüchternen Magen. Mir fiel merkwürdigerweise erst nach dieser Frage auf, dass ich sie nie gesiezt hatte. Ist es Branchenart oder Kohlenpott? Letzteres. Ich sagte, ihr meinen Text über die Sprachkritik „zeigen“ zu wollen; mir fehlte der Mut, zuzugeben, dass ich ihn ihr andrehen wollte für ein solides Honorar. Anschleichen! In jeder Beziehung. Die ist schwer zu kriegen. In jeder Beziehung. Im Stehen gefrühstückt bei einem Bäcker hier in Karlshorst. Und dann in die Höhle der Löwin.
Silke trug einen engen Pullover. Farblich war sie dezent gekleidet. Ein wunderbarer geschmacklicher Kontrast zu Cornelia Pieper, die meist bunt angezogen ist wie eine schlechte Sekretärin, nicht wie eine Generalin. Die wird im Bildungsloch versinken, die Nachrichtensendungen des Fernsehens werden wegen ihres Verschwindens daraus automatisch besser. Einige Kollegen betrachteten mich auf dem langen Weg durch das Großraumbüro mit Keilerblicken. Hatte ich so ein Gefühl von Kälte hier, weil draußen Schnee lag?
Mit ausschweifender Fantasie sah ich Silkes Hände, die ruhig mein Manuskript hielten. Ihre wunderschönen dunklen Augen sprangen jeweils schnell von links nach rechts, sanken nach unten, umblättern, beim nächsten Blatt erneut das Abgleiten ihrer Augen. Aus ihnen war nicht herauszulesen, was sie dachte. Ihr Gesicht verzog sie nicht, die dunklen Augenbrauen wurden nicht einmal zusammengezogen. Silke sah mich an. O je, durchfuhr es mich, jetzt wird der Rechner hinter ihrer Stirn aktiv und sie sagt dir dessen Ergebnis. Ich blickte auf ihren Mund. Er ist leicht herzförmig. Die Oberlippe ist dicker als die untere. Wir haben doch Valentinstag, dachte ich geradezu flehend. Silke fragte nicht, ob ich es schon irgendwo angeboten hätte. Demütigend hieß ihr Urteil, wenn ich als Klugscheißer aus der Provinz glaubte, so hier in Berlin Boden gewinnen zu wollen, erginge es mir wie der Deutschen Wehrmacht vor genau 60 Jahren. Die verlor jeden Tag. Ob ich nicht aus Erfahrung wüsste, dass Medienmenschen Besserwisser seien. Automatisch nickte ich gegen meinen Willen. Die wollen doch nicht aus Wattenscheid hören, dass sie ihr Handwerk nicht beherrschten. Das Wort Wattenscheid klang wie ein trockener Gewehrschuss. Danach erfolgte der so genannte Fangschuss: „Willst du das Manuskript zurück oder soll ich es zerreißen?“ Gegen meine Überzeugung bat ich sie, die Arbeit zu „entsorgen“.
Hiernach ging ich vor der Mittagszeit in eine kleine Pinte nahe dem Alex. Dass mich eine Frau dazu bringt, an der Karl-Liebknecht-Straße zu trinken, war mir nicht an der Wiege gesungen worden. Ich weiß nicht, wie lange ich dort war. Von eventuellen nächtlichen Träumen blieb nichts im Gedächtnis. Aber ich erinnerte mich, im Schlaf Kreislaufstörungen registriert zu haben.
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